Wenn Chips baden gehen

■ Irrende Computer könnten zur Jahrtausendwende den Hafenverkehr zum Erliegen bringen. Die Behörden grübeln, wie man heil an der „Jahr-2000“-Klippe vorbeikommt

In Kellern stapeln sich Kerzen, Astronautennahrung - die Sylvesterfeiern werden in Luftschutzbunker verlegt. Kurz vor der Jahrtausendwende hat die Welt endlich gute Gründe gefunden, alte Millenariums-Ängste neu aufleben zu lassen: Ein wildgewordenes Informationszeitalter soll am 31.12.1999 die Welt aus den Angeln heben, weil unzählige Computerchips zur Geisterstunde statt aufs Jahr 2000 auf 1900 umspringen.

Glaubt man Bremens Hafenkapitän Hans-Jürgen Roos, dann ist die nostradamische Panik auch für Bremen angesagt: „Das Schlimmste, was passieren kann, ist, daß die Schiffe in der Weser nicht mehr manövrierfähig sind und gegen die Kaimauer schreddern.“ Oder sie laufen auf Harriersand auf und verursachen eine fulminante Ölpest. Kein Spaß. Notfalls werde man hinter den Schleusen Schlepper plazieren, die jederzeit sofort zur Stelle sind, so Roos. Sicher ist: Vom 31.12.1999, 10 Uhr, bis zum 1.1.2000, um 14 Uhr, wird Bremen, trotz Feiertag und geringer Verkehrsdichte, mit voller Besetzung durcharbeiten. Und schon jetzt laufen die Vorbereitungen für den Tag X auf internationalen Hochtouren. Mit dem Bundes-Verkehrsministerium, den Schiffahrtsämtern, Lotsen und seinen Kollegen von den deutschen Hafenämtern traf sich Hafenkapitän Roos kürzlich in Bremen, um gegen den bevorstehenden Chip-Terror gemeinsam vorzugehen.

In London ist derzeit ein Fragebogen in Arbeit, der vor dem Stichtag in zehn Monaten auf allen Schiffen verteilt wird: Wer hier nicht über Alter und Zustand von Navigations-, Maschinen-, Funkcomputern, über elektronisch gesteuerte Ölversorgung und Pumpen genauestens Auskunft zu erteilen vermag, kommt in Bremens Häfen nicht rein. Sagt Roos. Und weiß doch, daß dies keine Frage von Rein-Raus ist: „Man geht davon aus, daß an modernen Schiffen rund hundert verschiedene Systeme betroffen sein können“ – da sei es völlig ausgeschlossen, daß die alle auf ihre Jahr-2000-Tauglichkeit überprüfbar wären: „In vielen Fällen kann man das nicht mehr testen.“ Schon, weil es die Herstellerfirmen nicht mehr gibt.

Die Hoffnung, dem Zusammenbruch unserer Datenwelt durch eine Kreuzfahrt zu entgehen, sollten Sie also fahrenlassen. Christian Hense von der Bremer DAL-Schiffahrtsgesellschaft überprüft denn auch schon seit anderthalb Jahren die Technik an Bord seiner Luxusliner und nimmt Kontakt mit den Elektronikfirmen auf, um nachzurüsten. Für die kritischen Stunden empfiehlt er seinen Kapitänen, lieber auf Handsteuerung umzuschalten.

Und auch die Reederei DSR-Senator-Lines in der Martinistraße hat – wenngleich nur eine Chartergesellschaft – seit einem knappen Jahr ihren „Problem-2000-Beauftragten“, der die gemieteten Schiffe auf ihre Jahrtausendtauglichkeit kontrolliert. Eine Garantieerklärung der Schiffseigner soll hier vor Verlusten schützen, erklärt Werner Stephansky von DSR-Senator. Sonst zahlt die Reederei Schadensersatz, wenn sie ihre Aufträge nicht erfüllen kann. Und auch die Versicherungen haben sich beim Risikothema „Jahr-2000-Problem“ längst auf Ausschlußklauseln verlegt: Keine Versicherungsleistung während der Jahrtausendwende, so ist hier die Regel. Ulrike Löw