Biobrot aus ländlicher Idylle

Volker Krause versteht seine Bohlsener Öko-Mühle in erster Linie als politisch-ökologisches Projekt  ■ Von Gernot Knödler

Den Deutschen Herbst hat es auch im Heide-Dörfchen Bohlsen gegeben. Uelzener Grenzschützer stürmten im Frühherbst 1977 das Gelände der alten Wassermühle mitten im Ort, wo sich ein Haufen langhaariger Studenten getroffen hatte, um Zukunftspläne zu schmieden. „Einer fuhr einen Opel Kapitän mit großem Kofferraum“, erzählt Volker Krause, der heutige Müller. „Die dachten, wir hätten Schleyer entführt.“ Dabei suchten die jungen Pädagogen, Physiker und Volkswirte bloß nach Wegen, sich jenseits ihrer Studienfächer eine Existenz aufzubauen.

„Die Idee war, hier auf der Mühle was zu machen“, erinnert sich Krause. Dem Betrieb drohte nach 1000 Jahren die Schließung. Und da sein Vater damals schon für die Anthroposophen Getreide gemahlen hatte, entstand die Idee, Getreide aus ökologischem Landbau zu verarbeiten. Heute versorgt die Bohlsener Mühle 250 Naturkostläden zwischen Hamburg und Hannover mit Vollkornbrot, Keksen, Müsli und Getreidemischungen.

Der Blick aus dem neuen Verwaltungsgebäude fällt auf ein Flüßchen mit Röhricht, auf Wiesen, Knicks und Wälder. Bohlsen, sechs Kilometer östlich von Uelzen, ist ein Ort zum Urlaub machen. Die Backstein- und Fachwerkhäuser verschwinden fast unter den Bäumen. Das einzige, was nicht ins Bild paßt, ist der große blaßgrüne Siloturm der Mühle aus den 60er Jahren. Trotzdem gewann der Ort 1993 den zweiten Preis im europäischen Dorferneuerungswettbewerb. Begründung: Bohlsen hat aus dem, was es im Dorf gab, wirtschaftlich das Maximale gemacht, ohne seinen Charakter zu verlieren.

Das Getreidesilo wird gebraucht, denn es wird heute von einer Erzeugergemeinschaft aus rund 100 Höfen in einem 100-Kilometer-Umkreis beliefert. 5000 Tonnen dieses Getreides verarbeitet die Bohlsener Mühle selbst, weitere 4000 Tonnen verkauft sie weiter.

„Meine Einstiegsüberlegung ist nicht gesunde Ernährung gewesen“, sagt Krause. Das politische Motiv, die ökologische Landwirtschaft zu fördern, stand für den Volkswirt im Vordergrund: Ohne Kunstdünger und chemische Spritzmittel verbraucht sie weniger Energie; weil sie weniger Umweltschäden produziert, ist sie billiger als konventionelle Landwirtschaft, und sie bremst das Artensterben.

Dazu kommen die gut 50 Arbeitsplätze, die durch den Ökobetrieb auf dem platten Land entstanden sind. Die Jobs in der Mühle, der Bäckerei und bei den Ökobauern geben wiederum Familien die Möglichkeit, auf dem Land zu leben, und deren Kindern die Chance „Basiserfahrungen“ zu machen, wie Krause das nennt: kalbende Kühe, die Ernte, das Spielen an der Gerdau, die die Stahlturbine der Wassermühle antreibt.

Das zentrale Mühlengebäude wurde 1851 aus Backstein errichtet. Verzapfte Balken stützen niedrige Decken, eine Holztreppe führt über drei Stockwerke hinauf unters Dach. Das Korn rieselt in mehreren Arbeitsgängen – Sortieren, Reinigen, Mahlen – immer wieder aufs Neue von oben nach unten durch die Mühle. Halbvermahlen wird es mit Luftdruck wie eine Rohrpost wieder nach oben geblasen. Ein Geäst aus blechernen Rohren verteilt es je nach Körnung auf unterschiedliche Walzenstühle, die es feiner und feiner zermahlen.

Beim Gang treppauf, treppab ist Krause stets auf der Lauer. Scheint etwas nicht zu stimmen, wird sein Blick starr. Er wittert, geht in die Knie, um unter eine Maschine zu schauen, oder öffnet irgendwo eine Klappe, um das Mahlgut zu prüfen.

Der Kreislauf in der Mühle ist weitgehend geschlossen. Den Mehlstaub braucht hier keiner zu fürchten. Gegen die Motte, den gefährlichsten Schädling, hängen bunte Plastiktöpfe an den Balken: Mit einem Duftstoff locken sie die Viecher in die Falle. Die Müller schieben regelmäßig Staubsauger zwischen den Sieben, Rüttlern und Rohren durch, und wegen der Mäuse kommt ab und zu der Kammerjäger. Wenn das alles nicht reicht, wird der Betrieb auf 50 Grad geheizt. Das reduziert die Insektenpopulation auf ein Minimum.

Ein Zehntel des Mehls wandert in die Mühlenbäckerei auf der anderen Seite des Hofs. Dort reift in einem 1100-Kilo-Pott der Sauerteig, der die Grundlage für den Brotteig bildet. „Am besten nicht zu dicht mit der Nase ran“, warnt Bäckermeisterin Lore Wessel. „Das stinkt erbärmlich!“ In der Tat riecht es sauer wie im Fotolabor.

Aus verschiedenen Tanks werden Sauerteig, Mehl und Wasser in einen großen Bottich gepumpt, durchgeknetet und 17 Stunden in Ruhe gelassen. Dann werden Brote geformt und in Etagenöfen gebacken – bis zu 800 Stück auf einmal. Weil jede Ladung des feuchten Vollkornteigs die Öfen stark abkühlt, brauchen die Öfen besonders leistungsfähige Heizplatten.

In der Backstube duftet es an diesem Tag honigsüß: Die Bäckerinnen haben erst vor kurzem ein paar Bleche Vollkornmuffins aus dem Ofen gezogen. Krause nascht von einem bereits abgekühlten Blech mit Sesamkräckern. Wie hatte er gesagt? – „Man muß möglichst genußorientiert leben!“