Von Schlaumeiern und Wunderheilern

■ Die Grünen stecken in der Krise, sagt die grüne Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck. Wie die Partei dort herauskommen soll ...

Jawohl, die Grünen hocken in der Krise und am gefährlichsten sind nun wohl die Quacksalber und Wunderheiler, die kurz und knackig angeben, wo es nun langzugehen habe. Da wird empfohlen, nunmehr die kläglichen Reste der FDP zu beerben. Andere sehen das Heil im Weg nach links und verweisen dabei auf die PDS als leuchtendes Beispiel für deren Anziehungskraft auf die Jugend. Ich empfehle allen, die dieser Fatamorgana anhängen, einen Besuch im Bonner (pardon) Berliner Parlament, um die Gerontologenriege auf den PDS-Bänken so richtig live zu erleben. Peppig, sag' ich Euch - der wahre Bringer. Und danach dürfen alle noch einen Abstecher nach Mecklenburg-Vorpommern machen, wo nun die PDS so richtig mitregieren darf. Von der großen Systemkritik ist soviel übriggeblieben, wie auf eine Briefmarke paßt, die Arbeitslosigkeit ist hoch wie eh und je, Asylbewerber werden abgeschoben, Fremde verprügelt. Und gleich bitte noch einen Blick in den linkesten aller grünen Landesverbände nach Nordrhein-Westfalen. Was passierte mit dem Garzweiler Braunkohlegebiet trotz linker Mehrheit? Und der Innenminister Behrends holzt trotz Roland Appel in ähnlich prekärer Weise gegen Flüchtlinge und Asylbewerber wie schwarze Innenminister.

War da was? Haben die sich nicht genug angestrengt? Nicht genug rebelliert? Geht es schon um die berühmten Speckröllchen der Macht um den Hüftgürtel?

Es ist an der Zeit, jenseits von vordergründigen Vorwürfen, daß hier die zu Angepaßten oder dort die zu Rebellischen am Werk seien, genauer in und hinter die politischen und gesellschaftlichen Geflechte zu schauen, die die Bedingungen für erfolgreiches Regieren oder Opponieren ausmachen.

Wer sich diesem analytischen Prozeß nicht unterwirft, wird auf immer neue Scheinlösungen kommen. Mal bieten sich die Jungen an, ohne daß sie zu erklären hätten, wo sie politisch hinwollen. Mal bieten sich die an, die direkt von der Basis kommen und es schon deshalb besser wissen müssen als die „Funktionäre“ (wer schon so einen ekelhaften Titel am Hals hat, dem kann man sowieso nicht mehr vertrauen). Weiteren Mythenbildungen für Hoffnungsträger sind keine Grenzen gesetzt, neben der Generationenfrage bietet sich hervorragend das Realo-Fundi-Schema an: So wußte der „Linke“ Trittin doch gleich zu vermelden, daß Bremen nun die zweite Realo-Niederlage in Folge sei. Man kann bei solchen Spielchen immer auf das kurze Gedächtnis des geneigten Lesers setzen, war es doch in Niedersachsen nach vier Jahren Regierungsbeteiligung mit dem „linken“ Trittin, wo die Grünen über sieben Prozent gerade mal eben hinauskamen.

Und auch die SPD hat ihr Waterloo zu bieten: Gelang es ihr noch, vor den Wahlen die Union für ihre Sparpolitik zu denunzieren, so greift sie neun Monate später zu Entscheidungen, deren Ähnlichkeit mit Unionssparplänen kaum verborgen werden kann. Warum ist Lafontaine, der alles anders machen wollte und mit dem Finanzministerium scheinbar die Macht in den Händen hielt, nach nur wenigen Monaten gegangen, statt seine Nachfragepolitik durchzusetzen?

Daß es nicht um die Wehrhaftigkeit von Personen, nicht um ihre Verliebtheit in die Macht und daraus abzuleitende moralische Wertungen geht, zeigt das Atomdilemma der Grünen zur Zeit ganz besonders deutlich. Es ist nicht ein realo-verführter Umweltminister, der in einer rot-grünen Regierung von einer Demütigung in die nächste läuft, Trittin ist der Linkeste, den wir hatten. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, als Joschka sein eigenes Schicksal mit der Ernennung von Jürgen als Umweltminister verbunden hatte!

Also: Befreien wir uns von den oft denunziatorischen, weil mit moralisierenden und abwertenden Etiketten versehenen Oberflächlichkeiten! Es geht nicht um bessere oder schlechtere Menschen, es geht nicht um Jüngere oder Ältere, nicht um die tolle Basis gegenüber den Idioten da oben. Es geht um die schwierige Frage, wie die Grünen zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung weiterhin eine gesellschaftliche Kraft bleiben können, die auch zählt, die Gewicht hat.

Was ist dabei klar?

– Klar ist, daß es ein „Zurück“ zu dem grünen Sammelsurium der achtziger Jahre nicht mehr gibt. Weg mit den Pershings, her mit dem Feminismus und Schluß mit dem Wachstum reichen als Leitlinien für den Weg durch die Parlamente nicht mehr aus.

– Auch die Spielbein-Standbein-Theorie hat sich weitgehend überholt angesichts der Tatsache, daß die Spielbeine lieber ins Weserstadion statt auf die Straße gehen.

– Niemand wird uns mehr durchgehen lassen, wenn wir politische Inhalte nicht auch in realisierbare Konzepte gießen. Und dafür wären die Grünen sicherlich mit der Einführung belastbarer Organisationsstrukturen gut beraten: Strukturell voneinander getrennte Fraktionen (in denen qua Apparat und Zeit die Macht liegt) und Vorstände erzeugen nur den Mythos von der größeren Unabhängigkeit der Partei. Auch die Doppelvorstände haben zumindest einen Nachteil: Sie reproduzieren den Regierungslinke-Realo-Gegensatz, auch dort, wo er längst obsolet ist.

– Kämpfen sollten wir um das Markenzeichen Ökologie. Auch wenn viele Fragen, die aus der ökologischen Frage abzuleiten sind, neu dekliniert werden müssen, so bleibt die gesellschaftspolitische Notwendigkeit der Grünen mit der Rolle der Ökologen in der Politik verbunden.

– Erhalten sollten wir uns das Image einer freiheitlichen, an Menschenrechten orientierten Partei für gesellschaftliche Minderheiten.

– Dokumentieren sollten wir, daß Juppies uns schnuppe sind und eine Politik des „Jeder ist sich selbst der Nächste“ nicht zu den Grünen paßt. Grundwerte von Solidarität und Ausgleich sind unverzichtbar.

– Aber geben wir dabei auch zu, daß der Weg zur Erreichung dieser Grundwerte für uns verschwommener ist als noch vor Jahren, als allein das Postulieren dieser Ziele noch reichte.

Nach dem Fall der Mauer ist nicht nur die Friedenspolitik schwieriger geworden. Auch die Ökologie und die Sozialpolitik gestalten sich schwieriger, nachdem jegliche Perspektive von staatswirtschaftlichen Ansätzen hinter der ökonomischen Effizienz dieses Systems verschwunden ist. Für uns heißt das: die Regeln der sozialen Marktwirtschaft akzeptieren und diese sozial und ökologisch gestalten. Das bedeutet auch, sich der schwierigen Frage zu stellen, wie und mit welchen Produktivkräften der Reichtum erzeugt werden soll, den wir zum Nutzen und Frommen der Gesellschaft verteilen wollen, von B wie Bildung bis R wie Rente. Da stolpert die gemeine Grüne von Widerspruch zu Widerspruch: Weder auf Bundes- noch auf Bremer Ebene gibt es noch einen wachstumskritischen Diskurs. Es hat seinen Grund, daß alle diese Stimmen bei dem Blick in leere Kassen immer leiser wurden.

Also geht's um Umverteilung? Der Blick nach Frankreich in das erste Jahr der Mitterand-Regierung, als angesichts rigider Umverteilungspolitik Geld ins Ausland floß, zeigt, daß dieser blöde Kapitalismus, der doch so schön ist, wenn man ihn gut abschöpfen kann, eine verteufelte Angelegenheit ist.

Das alles ist nicht allein unser Problem, denn wir sind nicht angetreten, die Welt für andere zu retten. Dieses Projekt haben zuviele bei den Grünen schon hinter sich. Aber dennoch muß die Partei zentrale Fragen der Gesellschaft formulieren und Diskurse in die Gesellschaft tragen. Wegducken gilt nicht: Auch Widersprüche gehören auf den Tisch. Wer zugleich bis vors Kaufhaus Auto fahren und dennoch verkehrsberuhigt in der Stadt wohnen will, wer die Klima-Katastrophe beklagt, aber sonnenhungrig in den Urlaub fliegt, wer eine Sparpolitik ablehnt, aber sich Renten- und Sozialversicherungsabgaben via 630-DM-Job nur allzugerne entzieht, wer heute Schulden macht, weil die von den Nächsten abgetragen werden können, der wird auch von „den Politikern“ keine tauglichen Antworten bekommen. Die Orientierung für die Grünen liegt in den alten Leitideen: Ökologie, Soziales, Gleichberechtigung und Menschenrechte – die Antworten allerdings können nur in und mit der Gesellschaft entwickelt werden – und Macht erhalten sie nur, wenn viele diese Ideen mit zu tragen und zu leben bereit sind.

Marieluise Beck, Bundes-

Ausländerbeauftragte