Das Elend bündelt sich jetzt im Volkshaus

■ Im Volkshaus werden alle Problemfälle auf einem Flur abgefertigt / Bis vor kurzem war die Beratung dezentral organisiert / Angestellte berichten nun von Konflikten

Stefan S. tickte aus. Weil Unterlagen fehlten, wollte die Sozialarbeiterin des Amtes für Soziale Dienste ihm kein Weihnachtsgeld bewilligen. Der Ex-Knacki griff sich die Tischlampe und schwang sie über seinem Kopf wie ein Lasso. Die Mitarbeiterin grabschte er am Oberarm, so daß sie einen blauen Fleck bekam. Als sie auf den Balkon floh, verfolgte er sie – mit einem Terrakotta-Blumentopf in der Hand. Erst als ein Kollege mit Reizgas zur Hilfe kam, ließ der Mann von der Angestellten ab, nicht ohne den Topf zu zerdeppern. Letzte Woche verurteilte das Amtsgericht Stefan S. in Abwesenheit zu einer Geldstrafe von 1.800 Mark.

Nur selten eskalieren Konflikte in Sozialämtern bis zur Handgreiflichkeit. Doch Aggressionen im Amt sind an der Tagesordnung. Jetzt schlagen die Angestellten für „besondere Hilfen“ (zuständig für Obdachlose, Drogenabhängige und Ex-Knackis) Alarm. Sie fürchten, daß ernsthafte Konflikte in nächster Zeit erheblich zunehmen werden.

Der Grund für die Furcht: Alle Problemfälle werden inzwischen an einem einzigen Ort abgefertigt. Früher hatte jede Problemgruppe ihre Außenstelle. Doch jetzt wurden die Abteilungen auf einem engen Flur im Volkshaus zusammengelegt – so entschied die Große Koalition in der letzten Legislaturperiode, um so Geld zu sparen. Die Straffälligenhilfe zog im März in das Haus in Walle. Im Juli kam die Drogen- und Nichtseßhaftenhilfe hinterher. Auf dem gleichen Flur ist eine Beratungsstelle für Ausländer und die Jugendhilfe untergebracht. Konflikte sind vorprogrammiert.

„Es gab schon immer eine zentrale Leitung der jetzt zusammengefaßten Stellen“, sagt Jörg Henschen, Sprecher von Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD). „Jetzt ist das effizienter: Mehr Kommunikation untereinander, bessere Möglichkeiten, sich gegenseitig zu vertreten“. Wieviel Geld durch die Zusammenlegung gespart wird, ließe sich noch nicht genau beziffern.

Eine „Zuspitzung“ der Konflikte im Volkshaus konstatiert Burckhard Radtke, Personalrat im Amt für Soziale Dienste, Abteilung Mitte/West. „Die Einschnitte ins soziale Netz, die Wartesituation auf den engen Fluren – das macht die Situation immer schwieriger.“ Jetzt treffen auf dem Flur auch noch Leute zusammen, „die sich besser nicht über den Weg laufen sollten“ - substituierte Drogenabhängige mit ihren alten Drogenfreunden, Ausländer mit rechtsdenkenden Ex-Knackis und so weiter. „Die Leute kommen schon viel geladener am Beratungstisch an, als früher“.

Daß das Sozialressort unter „gigantischem Spardruck“ steht, ficht Karoline Linnert, sozialpolitische Sprecherin der Grünen, nicht an. Und das überflüssige Standorte aufgegeben werde, findet sie auch „erst einmal nicht falsch“. Aber hier sei offenbar nicht vernünftig geplant worden. In der Deputation zumindest sei niemals ein Gesamtkonzept für das Volkshaus vorgelegt worden. „Die Argumentation war: Wir haben ein riesiges Haus und Platz darin. Jetzt bündelt sich dort das Elend – das ist doch grausam für die Betroffenen.“

Wie der Probleme Herr werden? Für einige Zeit wurde schon ein privater Wachdienst angeheuert. Doch für Personalrat Radtke sollte das eigentlich der „letzte Schritt“ sein: „Die Anwesenheit solcher Aufpasser kann Konflikte noch verschärfen“, sagt er. In Bremerhaven sieht man das übrigens anders: Dort patroullieren seit letzten Montag zwei Wachmänner auf den Fluren des Sozialamtes – ein teurer Modellfall, der Schule machen wird? cd