Cinema paradiso

Will von der Traumfabrik gar nichts wissen: Rüdiger Tomczak und seine Filmzeitschrift „Shomingeki“  ■   Von Katja Hübner

Was macht man, wenn man sich als Filmfreak überhaupt nicht mit Hollywood und den angeschlossenen Hochglanzfilmzeitschriften identifizieren mag? Man gründet einfach eine eigene Filmzeitschrift, die die Traumfabrik und ihre Filme verachtet. Der schnöden Eintönigkeit des amerikanischen Films wird der Garaus gemacht und den Neugierigen und Unverdorbenen endlich ein gewaltiger Raum der Filmlandschaft eröffnet.

Das ist Shomingeki. Der wahrgewordene Traum des Rüdiger Tomczak, eines Fabrikarbeiters aus dem Ruhrpott, der als sechsjähriger Junge auf einem knarzenden Stuhl mit „Laurel und Hardy“ seine Leidenschaft für den Film entdeckte. 1995 publizierte der Bochumer, der nach vierzehn Jahren die allmählich grau werdende Fabrik verließ, die erste Ausgabe seines in SchwarzWeiß und auf Glanzpapier gedruckten Filmhefts.

Shomingeki hieß einst die Realismusbewegung des japanischen Kinos eines Yasujiro Ozu. Es waren dies Filme über kleine Leute, jene, deren Namen man zu schnell vergißt. Heute ist Shomingeki nicht nur eine Hommage an Ozu, sondern auch ein Ort, an dem man mit Leuten in Kontakt kommen kann, um über „kleine“ Filme zu reden, also über die, die in der herrschenden Kinolandschaft eher abseits stehen.

Jean-Marie Straub, Danièle Huillet, Allen Fong oder Produktionen aus Vietnam, China, Japan und den Philippinen, die oftmals noch nie eine deutsche Aufführung erlebten, werden in Shomingeki besprochen. Da kann auch der interessierte Kinogänger noch einige Erkenntnislöcher stopfen.

Epische Nacherzählungen der Filmstory, elaborierte Schilderungen von Kameraeinstellungen, Licht- und Montageeffekten vermischen sich mit persönlichen Reflexionen der Autoren.

Man verstehe diese Detailgenauigkeit nicht falsch. Sie übernimmt die Funktion des Kinoapparates, da wir die meisten der erwähnten Filme nicht kennen. Wer weiß, ob es hier nicht doch eine Nachfrage gäbe, doch da die deutschen Verleiher die Filme nicht vertreiben, könnte uns nur ein Versuch klüger machen.

Als freie Filmzeitschrift, die zum größten Teil von Geldern der Herausgeber, Freunde und Liebhaber lebt, erlaubt sich Shomingeki auch die Freiheit der Gefühle: ergriffen, erschrocken, traurig, getroffen. Stürmisch wie der Herbstwind wehen in den Besprechungen die Emotionen. Die Begeisterung über die Filme und die Auseinandersetzung mit den Filmen packt den Autor meist so sehr, daß jede Kritik zu einem sentimentalen Liebesbrief wird. „Ich war seltsam berührt von der Art, wie die Menschen die Dinge berühren oder sich manchmal auch nur das Haar streichen“, schreibt Tomczak über den vietnamesischen Film „Nostalgie für das Heimatland“ von Dang Nhat Minh. Es ist ein Film, den Tomczak allein siebzehnmal sah. Und wenn er nur noch zwei Stunden zu leben hätte, würde er ihn sich noch mal anschauen. Um ihn dann mit ins Grab zu nehmen.

Vielleicht gehören Rüdiger Tomczak und die Filme aus Shomingeki einfach zusammen. Ganz sicher ist es aber die Liebe zu diesen Filmen, die ihm einen Verriß verbietet. Und vielleicht sind die Filme ja genauso so wunderbar, wie er sie beschreibt – nun schon in der sechsten Ausführung. Bei einhundert Abonnenten und einer Auflage von eintausend Stück: Was man mit Shomingeki in den Händen hält, ist ein Projekt, das gegen den Strom schwimmt und selbstverständlich nur ideelle Gewinne abwirft. Depressionen, Herzblut, Probleme des Vertriebs und der Anzeigenbeschaffung, die ständigen finanziellen Schwierigkeiten: Unter solchen Bedingungen verliert sich schnell die Regelmäßigkeit der jährlich geplanten drei Editionen, hört auf, beständig zu sein.

Doch der Postbote und Hauswart Rüdiger Tomczak wird seinen Shomingeki-Traum weiterführen. Langsam, gemach, doch unausweichlich.

Shomingeki - Filmzeitschrift; ISSN 1430-1229, Preis 6 DM.

Adresse: c/o Rüdiger Tomczak, Kanzowstraße 11, 10439 Berlin. Tel/Fax: (030) 44737918

Hommage an Ozu und ein Ort, an dem man mit Leuten über „kleine Filme“ sprechen kann