Wo der Neuköllner Südfranzose spielt

taz-Serie „Mooslos durch den Sommer“ (Teil 3): Unter Kübelpalmen, aber auch unter der Einflugschneise des Tempelhofer Flughafens treffen sich im Körnerpark die Neuköllner zu einer entspannten Runde Boule  ■   Von Kirsten Küppers

Der Körnerpark ist die Neuköllner Kiezoase. Sonntags ist Musik und Theater, und das Publikum erholt sich mit Strohhut, Lockerlassen und Boulespielen. Da, wo tätowierte Neuköllner am Sonntagabend in der Hermannstraße vorm libanesischen Pizzamann dem Verkehr beim Rauschen zusehen, links rein in die Schierker Straße. An deren Ende versteckt liegt der Körnerpark.

Auf der Steinbalustrade, die zu Orangerie und Rasenfläche herabführt, sitzen türkische Jugendliche. Sie betrachten die Vorstellung lieber von oben. Der Platz vor der Orangerie ist voll. Zwei irische Musiker geben mit Akkordeon und Gitarre Irish Folk zum besten. Das Publikum sitzt an kleinen Bistrotischen. Wer nicht bei „Dirty Old Town“ mitsummt, löffelt Eiskaffee.

Auf der Grasfläche werden die letzten Reste vom Nachmittagspicknick zusammengeräumt, Hunde sind angeleint, eine Mutter und Tochter spielen Federball. Man kann zu irischer Volksmusik stehen, wie man will – egal: Ordentlicher Abscheu oder stürmische Begeisterung läßt sich kaum entwickeln, denn der Parkfrieden wird alle zehn Minuten durch das ohrenbetäubende Getöse eines nur wenige hundert Meter über die Köpfe donnernden Flugzeuges durchbrochen: Einflugschneise Tempelhof.

Wogegen die Musiker mit gequälter Miene anspielen, läßt indes keinen der anwesenden Kiezbewohner mehr mit der Ohren zukken. Da hat man sich dran gewöhnt, Hintergrundrauschen eben. Und sein Idyll läßt man sich davon noch lange nicht kaputtmachen. „Das ist unsere letzte Oase in Neukölln“, ereifert sich eine Rentnerin. „Wir wohnen ja im Problemkiez. Die Hermannstraße ist furchtbar dreckig geworden. Hier ist es wenigstens kultiviert. Das hat internationalen Flair und Rhythmus.“

Die 1912 bis 1916 entstandene Parkanlage war schon früher der Lieblingspark der Neuköllner. Die große Freitreppe wurde zur begehrten Kulisse für Vereinsfotos aller Art, vom Männergesangsverein bis zum Rotfront-Kämpferbund. Später geriet dem Park die Lage in der Haupteinflugschneise zum Verhängnis, er wurde lange Jahre kaum genutzt, die Gebäude verfielen.

Erst Anfang der 80er Jahre konnten sich die neu eröffnete Galerie und der Park mit der Konzert-und-Theater-Reihe „Sommer im Park“ als Veranstaltungsort etablieren. Seither spielt der Neuköllner hier gerne sonntags Südfranzose. Unter Kübelpalmen werden, den Strohhut in den Nacken geschoben, die Boulekugeln poliert. Dann regt man sich gern darüber auf, daß der Bezirk aus Geldmangel der Brunnenanlage das Wasser abgedreht hat.

Das vom Kulturamt gesponserte Programm gibt sich mit Bluegrass über Klassik bis hin zum Wolgadeutschen-Ensemble so lieb konsensfähig wie möglich, obwohl angesichts des Fluglärms ein „Monsters of Rock'“-Konzert hier bestimmt auch keinen erschrecken würde. Einer der türkischen Jugendlichen auf der Balustrade ist von dieser Beschaulichkeit ziemlich genervt. „Ich komme seit zehn Jahren jeden Tag hierher und muß mir das Programm immer anhören, weil ich nichts zu tun hab“, sagt er. „Aber die Musik ist was für ältere Leute. HipHop wäre besser, wir wollen ja hier nicht einschlafen.“ Sommer im Park: Musik und Theater umsonst, jeden Sonntag um 18 Uhr vor Galerie und Café im Körnerpark, Schierker Straße 8, Neukölln