„Ordnung, Disziplin und Sauberkeit“

Mit knapp zwölf Prozent verbuchte die NPD im sächsischen Königstein bundesweit ihr bestes Kommunalwahlergebnis. Ihr Star ist der örtliche Fahrlehrer, der Tischtennis spielt und den Stasi-Bürgermeister bewundert  ■   Aus Dresden Nick Reimer

„Auf der Festung Königstein“, singt der Kindermund, „muß doch auch ein König sein!“ Zumindest unten, im gleichnamigen Ort, gibt es einen neuen König. „Jupheidie!“ Der heißt Uwe Leichsenring, ist Kreisgeschäftsführer der NPD und bekam bei der Kommunalwahl 447 Stimmen. Nur die Frau vom örtlichen Doktor konnte für die SPD noch ein paar mehr Kreuze hinter ihrem Namen versammeln. Aber das, sagt Stimmenkönig Leichsenring, sei ja verständlich: „Der Doktor ist hier sehr beliebt.“

Die NPD war bei der Kommunalwahl in 21 sächsischen Städten und Gemeinden angetreten, in den meisten zum ersten Mal. Knapp, also mit je einem Stadtrat, sind die Rechtsextremen in die Parlamente von Wurzen, Meißen, Sebnitz und Riesa eingezogen. Und eben im 3.200 Einwohner zählenden Königstein: Mit 11,8 Prozent – das bringt zwei der 18 Stadtratssitze – erreichten die Neofaschisten hier bundesweit ihr mit Abstand bestes Resultat. Genauer gesagt, Leichsenring erreichte das beste Resultat. Die anderen vier NPD-Kandidaten trugen nur mit lächerlich wenigen Stimmen zum braunen Wahlsieg bei.

Bei den Kommunalwahlen am 13. Juni büßte die Königsteiner CDU drei ihrer bislang neun Mandate ein. Die zweite Fraktion, die SPD, FDP und Gymnastikverein gebildet hatten, löste sich auf. Zwar zog die SPD mit den Christdemokraten gleich. Die FDP bekam aber nur reichlich 100 Stimmen und flog damit aus dem Stadtparlament. Der Gymnastikverein trat gar nicht mehr an. Und seit der damals 25jährige PDS-Stadtrat aus beruflichen Gründen in den Westen ging, kommen die Sozialisten in Königstein nicht mehr vor. Neu im Stadtrat sind nun zwei Bürgervereinigte, die sich gegen die hohen Abwassergebühren stark machen wollen. Und eben zwei NPD-Stadträte.

„Ob Ordnung, Disziplin, Sauberkeit, Pünktlichkeit – ich lebe den Leuten eben meine Ideale glaubhaft vor“, sagt Leichsenring über seinen Wahlerfolg. Bei der Kommunalwahl sei das eben viel wichtiger als Parteibuch oder Programmatik.

Natürlich erklärt das platte Statement nicht die fast zwölf Prozent Stimmen für die NPD. Ziemlich oft ist deshalb Königsteins Bürgermeister Rudolf Maiwald in den letzten Wochen gebeten worden, dieses Ergebnis doch „bittschön!“ zu kommentieren. Was ist in seinem romantischen Städtchen bloß passiert? So schlecht geht es den Königsteinern doch gar nicht. Mit rund zehn Prozent liegt die hiesige Arbeitslosenquote klar unter dem sächsischen Durchschnitt. Gerade einmal 25 Königsteiner Jugendliche sind ohne Job.

Maiwald, eine kleine drahtige Person mit korrekt sitzendem Schlips, verkneift sich Floskeln wie „Ich bin entsetzt!“ oder „Eine Katastrophe für Königstein!“ Der Bürgermeister sagte ganz nüchtern: „Der Wähler ist der Souverän.“ Zu tun hatte Maiwald mit „dem Herrn Leichsenring“ noch nichts. Aber, sagt der Bürgermeister, der Fahrlehrer von Königstein sei immer korrekt aufgetreten. Randale, Aufmärsche oder Streß mit der Polizei habe es bislang nicht gegeben. „Wenn sich Leichsenring für den Fortgang unserer Stadt bemüht, werde ich mit ihm zusammenarbeiten wie mit jedem anderen Stadtrat auch.“

Wer Maiwalds Geschichte kennt, weiß, daß er gar nicht anders kann. Als im März 1994 bekannt wurde, daß Königsteins CDU-Bürgermeister Rudolf Maiwald von 1972 bis 1981 Stasi-IM war, setzte ihm die eigene Partei den Stuhl vors Rathaus. Maiwald reagierte stur. Er trat bei den Christdemokraten aus und stellte sich zur nächsten Bürgermeisterwahl als Einzelkandidat. Auch zur eigenen Überraschung feierte Maiwald einen grandiosen Sieg. Knapp zwei Drittel der Königsteiner stimmten gegen den CDU-Kandidaten – und für ihn, Maiwald. So rehabilitierten sie ihren geschaßten Stasi-Bürgermeister, gaben ihm Vertrauen und Amt zurück.

„Wir haben jetzt einen zweiten tschechischen Sportsfreund verpflichtet, um den Aufstieg zu schaffen“, sagt Uwe Leichsenring. Trotz seiner üppigen Körperfülle ist der neue NPD-Star einer der Besten des örtlichen Tischtennis-Teams. Leichsenrings sportlicher Erfolg hat ihn im Städtchen populär gemacht. Einmal war der Bürgermeister mit den Leuten von der Stadt zu einem ganz wichtigen Match. „Und ich hab' nur verloren“, erinnert sich der NPDler. Das wurmt ihn heute noch. Denn der Maiwald „ist ein Glück für Königstein. Bloß gut, daß er das alles durchgestanden hat.“

Durchgestanden hat Maiwald einen jahrelangen Krieg mit Gerichten und dem CDU-Landrat. Der frischgewählte Bürgermeister war nur einen halben Tag lang Stadtoberhaupt. Diesmal ließ ihn der zuständige Landrat entfernen. Ein Stasi-belasteter Bürgermeister geht schließlich nach sächsischer Beamtenordnung nicht. Ex-IM Maiwald zog vor Gericht und bekam recht. Und damit die Amtsgeschäfte in Königstein zurück. Was natürlich ein landrätlicher Provinzfürst nicht auf sich sitzenlassen konnte: Er ging in Berufung. Dem Verwaltungsgericht in Dresden folgte das Oberverwaltungsgericht in Bautzen, folgte das Bundesverwaltungsgericht in Berlin, folgte das Verfassungsgericht in Leipzig.

Alle Vierteljahre wurde Bürgermeister Maiwald per Gerichtsbeschluß entweder aus dem Rathaus gejagt oder wieder inthronisiert. Schließlich mußte der Landrat Maiwald die Amtsschlüssel 1997 endgültig übergeben. Das fanden inzwischen auch die Königsteiner gut, die Maiwald nicht gewählt hatten. Leichsenring zum Beispiel. Für den ist der Streit Beleg, wie staatliche Macht Demokratie und Volkes Willen ignoriert. Das Wahlergebnis jetzt sei dafür auch ein bißchen Quittung. Was hatte sich der Bürgermeister denn schließlich zu schulden kommen lassen? Als für die „Abwehr von Werksspionage“ zuständiger Abteilungsleiter im Landmaschinenkombinat „Fortschritt“ war doch klar, daß die „Firma Horch & Guck“ bei Maiwald auf der Matte steht.

Auf der Straße wird Leichsenring angesprochen. Ob er schon etwas erreicht hat? „Doch“, sagt der NPDler, dem sofort der Nachname des Passanten einfällt, „wir haben uns beraten.“ Worum ging es doch gleich? Die Miete, ja richtig! Leichsenring kramt in seinen Unterlagen. „Auf keinen Fall überweisen“, rät er dann, die Mieterhöhung sei nicht rechtens. „Legen sie Widerspruch ein!“ Wie man das denn machen müsse, fragt der Passant. Leichsenring, dessen T-Shirt mit wehrhaften Stahlhelmträgern und dem Spruch „Wer für sein Volk kämpft, ist immer im Recht“ bedruckt ist, greift zu Papier und Stift. Dem Passanten ist anzusehen, wie groß der Stein ist, der ihm vom Herzen fällt. Aufwendig bedankt er sich. „Nicht doch“, sagt Leichsenring. „Dafür sind wir von der NPD doch da!“ So sieht Alltags-Rechtsextremismus aus.

Leichsenring, der sich selbst als Faschist bezeichnet, gibt sich überhaupt nicht der Illusion hin, von Königstein aus die Welt verändern zu können. „Wir werden hier die kommunale Kompetenz der NPD beweisen.“ Konkret heißt das im Moment für ihn büffeln: kommunales Recht, Vergaberichtlinien, Haushaltsstrukturen und dergleichen. Leichsenring sagt: „Bis zur konstituierenden Stadtratssitzung bin ich fit.“ Wie er das sagt, läßt vermuten, daß er das auch tatsächlich schafft. Leichsenring sagt, er habe bisher immer alles erreicht, was er sich vorgenommen hat. Ob Schule, Berufsausbildung oder Studium – er habe immer zu den Besten gehört. „Ich hatte so gute Zensuren, daß ich alles hätte studieren können.“ Außer Sport natürlich, seiner Statur wegen. Schließlich schrieb er sich an der Karl-Marx-Universität in Leipzig ein, um Sprachwissenschaften – Schwerpunkt Russisch und Englisch – zu studieren.

1990 wurde Leichsenring exmatrikuliert, „wegen der NPD“, wie er vorgibt. „Ich habe mich nach der Wende politisch umgesehen. Die von der NPD waren am überzeugendsten.“ Noch heute beeindruckt Leichsenring die Warnung der Kameraden: Die Glücksritter und Gestrandeten, die Profitmacher und drittklassigen Bürokraten würden aus dem Westen kommen und den Osten aussaugen. „Genauso ist es gekommen“, sagt Leichsenring. Das ehemalige Restaurant „Deutsches Haus“ in Königstein, jetzt eine Ruine, ist so ein Beispiel. Ein West-Investor sei zuerst mit offenen Armen empfangen worden. „Dann hat er überwiegend alten Menschen 20.000 Mark Anzahlung für die angeblich geplanten Eigentumswohnungen aus der Tasche gezogen und ist verschwunden.“

Stampfend quält sich der Verkehr auf der Fernverkehrsstraße gen Tschechien durch das Nadelöhr der Stadt. Die Bahnhofstraße ist so schmal, daß immer nur ein Lkw fahren kann. Der Gegenverkehr muß warten – Dauerstau ist Tagesordnung. Maiwald würde gerne einen Tunnel bauen. Das Projekt kostet 350 Millionen Mark, der Stadthaushalt ist acht Millionen Mark schwer. Über ein Viertel davon geht in den Schuldendienst. Im großzügig dimensionierten städtischen Gewerbegebiet haben sich erst zwei Firmen niedergelassen. Eine städtische Erhebung hatte ergeben, daß 120 Häuser – etwa die Hälfte – dringend sanierungsbedürftig sind. Die Sächsische Zeitung machte daraus 120 Abrißhäuser, was Bürgermeister Maiwald vehement dementiert.

Aber es stimmt schon: Das Deutsche Haus, „dieser Schandfleck mitten in der Stadt“, ist eines von Maiwalds größten Problemen. Da ist ihm Leichsenrings Interesse nur recht. „Vielleicht fällt dem Herrn Leichsenring was Intelligentes dafür ein.“ Soll sich die NPD doch mal beweisen, sagt der Bürgermeister.

„Unsere Politik wird so gut, daß wir unser Wahlergebnis beim nächsten Mal verdoppeln“, verspricht Leichsenring. Woher die Gewißheit? Nun, egal ob im Dresdner Hochbauamt oder in der Kreisverwaltung Pirna – die NPD habe überall gute Leute sitzen. „Und dann hat sich unsere Partei von der Protestpartei ja auch zur Konzeptpartei entwickelt“, trumpft Leichsenring auf. Zudem gebe es an den Wochenenden immer diese Parteischulungen. „Mal geht es um Kommunalrecht, mal um deutsche Geschichte, mal gibt's einen Diavortrag aus Ostdeutschland.“ Womit Leichsenring Ostpreußen meint. Aber das sei nur eine Frage der Zeit, bis die „fremdverwalteten Gebiete“ wieder „heim“ kommen. „Die Polen sind doch gar nicht in der Lage, das zu bewirtschaften.“

Maiwald will zur konstituierenden Sitzung des Stadtrates klarmachen, daß es dort um Sachprobleme und nicht um Parteipolitik geht. „Wenn die NPD den Stadtrat als Plattform für ihre Ideologie nutzen will, entziehe ich ihr das Wort.“ Nazi- oder Skinpropaganda hätten im Rat nichts verloren. Das säuert Leichsenring ein bißchen an. Er sei schließlich wegen seiner vorgelebten Ideale vom Volk gewählt – Sauberkeit, Ordnung, korrektes Auftreten. Und auf die Skins läßt er „überhaupt nichts“ kommen. „Das sind absolut zuverlässige, integre Leute.“ Leichsenring fragt: Was sei denn so schlecht daran, germanische Riten ein bißchen zu pflegen?

Ein Foto, Herr Leichsenring? Nicht doch, wehrt sich der neue Stimmenkönig von Königstein, er sei unrasiert, ungekämmt und ohne Schlips. Die Stahlhelme auf seinem T-Shirt gucken grimmig. Fotografieren läßt sich Leichsenring nur frisch gescheitelt im Jakkett. Der Ideale wegen.