■  Woodstock 1999, 30 Jahre danach: Keine Janis Joplin, kein Jimi Hendrix, kein Santana. Aber auch keine Vietnamkrieg-Proteste, kein „wir“ gegen „die“, kein Aufbruch in die Zukunft. Das zweite Woodstock-Revival, das an diesem Wochenende in Rome im US-Bundesstaat New York stattfindet, wird so scheitern wie das erste. Weil es ebensowenig wiederholbar ist wie der erste Geschlechtsakt, die erste Bauplatzbesetzung oder der erste Joint
: Keine Sehnsucht nach Schlamm

Auf Fotos sieht alles niedlich aus. Alternativ gemütlich. Menschen, die sich im Arm halten. Eine Frau, die eine Tüte Gras raucht. Männer, die im Schlamm rutschen. Mädchen mit Blumen im Haar. Männer, die ihre Morgentoilette im See erledigen. Musiker, die auf der Bühne gegen den Regen anspielen. Tausende, die es nicht bis zum Festivalgelände schaffen, im Stau steckenbleiben. Selbst die Müllberge sehen wie Einrichtungsdetails im Paradies aus. Und dann die Ikonen: Melanie. Joe Cocker, Santana. Sie wurden erst durch dieses Ereignis zu Stars. Janis Joplin. Jimi Hendrix. The Who. Die dort wiederum ihren Ruf als verläßliche Interpreten des Zeitgeists festigten. Man erinnert sich an Love & Peace, vielleicht noch an eine der Schlußsequenzen aus dem Film, der über das Ereignis gedreht wurde: Kohlköpfe, die auf dem schließlich wieder menschenleeren Acker so arrangiert waren, daß das Zeichen der Ostermarschbewegung sichtbar wurde: Woodstock, 15. bis 18. August 1969. Ein singender Veteran wie John B. Sebastian („Summer In The City“) sagte im Jahr darauf: „Woodstock waren Perlen und Farben und Blumen und Sonne und schöne Menschen.“

Die Veranstalter des zweiten Revivals werden am Ende ihrer Tage in Rome enttäuscht sein. Nix von Flower Power. Gewiß, von diesem Wiederaufguß werden jede Menge privater Erinnerungen übrig bleiben. Manche werden sich verlieben oder entzweien, manche werden kollabieren, weil die Meteorologen mit hohen Temperaturen rechnen, andere das Gefühl, es überlebt zu haben, bei den Raves in den Hangars des früheren Luftwaffenstützpunktes, bei den Konzerten. Womöglich wird es wieder regnen, was zumindest ein passendes Zitat zum klimatischen Umfeld vom Original-Woodstock wäre. Aber große Gefühle werden nicht haften bleiben. „The Times They Are A-Changing“? Nein, die Zeiten haben sich längst geändert.

Bob Dylan, der im übrigen damals deshalb nicht dabei war, weil er schon einen besseren Vertrag mit einem anderen Festival abgeschlossen hatte, könnte einen solch coolen Brief nicht mehr formulieren. Was heute fehlt, ist nicht eine Jugend, die keine Musik hören will, sondern ein entschiedener Zeitgeist. An diesem Wochenende in Rome im US-Bundesstaat New York geht es um nichts als Musik, um nichts anderes als bei anderen Freiluftkonzerten, um nichts als um Quoten, um neue Kunden des Pay-TV, um die Renaissance eines Werks, das freilich nur im Original erträglich ist: als Dokument der Ära der Achtundsechziger. „Die Sechziger hatten diesen gewissen Schimmer, diese gewisse Naivität und diese gewisse Entdeckerlust, ein Aufbruch in die Zukunft, den es nicht mehr geben wird“, erkannte 20 Jahre später der Musiker Graham Nash. Jenes Jahrzehnt allerdings hat ein Wahrnehmungsmuster wenn nicht geboren, so doch popularisiert. Die zentralen Stichworte waren „them“ und „us“ – „die“ und „wir“. „Die“ waren die Spießer, die Prüden, die Kriegstreiber in Vietnam, die Kommißköppe, die Karrieristen, die Ehrgeizlinge, die Politiker, Imperialisten, Verkopfte und zur Transzendenz Unfähigen, die Realisten schlechthin. „Wir“ waren alle anderen, die Aufbrüchigen, die Hermann-Hesse-Leser, die Träumer, Tramps und Clowns, die Kriegsdienstverweigerer, die Vietnamdeserteure, die Kommunarden. Janis Joplin sang eine der Hymnen jener Zeit: „Freedom's Just Another Word For Nothing Left To Loose“ – Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, nichts mehr zu verlieren zu haben. In der Bundesrepublik fand diese Haltung zur Welt ihre Entsprechung in dem stets im falschen Zusammenhang wiederholten Zitat des Frankfurter Philosophen Theodor W. Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

Alle sozialen Bewegungen nach 68 lebten von diesem Credo. Immer ging es ums Ganze in den siebziger und achtziger Jahren. Der Frauenbewegung war alles Patriarchat, der der Schwulen alles Zwangsheterosexualität; die Ökobewegung sah fortan nur noch apokalyptische Naturzustände, und der Friedensbewegung ging es fast immer nur darum, Schwerter in Pflugscharen zu verwandeln.

Nichts stand geringer im Kurs als eine Politik der kleinen Schritte zum Besseren. Also hatte auch die traditionelle Arbeiterbewegung so gut wie keinen Kredit in der Woodstock-Generation. Wozu auch? Die Demonstranten gegen den Vietnamkrieg fanden bei den US-Demokraten nur wenig Gehör. Die US-Gewerkschaften, viele von ihnen korrupt, waren nicht bereit, gegen den Krieg in Südostasien zu mobilisieren. Bei den GIs, die im Dschungel Vietnams kämpften, kam die Woodstock-Botschaft allerdings schlecht an. Als privilegierter Nachwuchs der weißen Eliten wurden die Blumenkinder wahrgenommen. Noch schlimmer als der entsetzlich blutige Vietnamkrieg, so sagten später viele GIs, sei die Antikriegsbewegung gewesen: Schiedsrichter auf dem hohen Roß.

Die Fronten sind längst aufgeweicht. Krieg im Namen der Menschenrechte wie im Kosovo beispielsweise gilt als legitim. Frauen- und Homobewegung haben Freiräume und Rechte erkämpft.

Von Politik wird in Rome nicht die Rede sein. Enttäuschung darüber ist fehl am Platze. Die Zeiten sind nicht mehr so, es gibt keine Gegner mehr. Aber warum sollte der reine Genuß von Musik anstößig sein? Jan Feddersen

Vom Autor: „Woodstock. Ein Festival überlebt seine Jünger“. Ullstein 1999 (14,90 DM)