Italien läßt nur noch „bedürftige Kosovaren“ rein

■ Immer mehr Kurden, Pakistani und Afrikaner nutzen die „Gunst der Stunde“ und versuchen vom Balkan aus über die Adria nach Italien zu gelangen

„Die kommen“, berichtet ein Offizier der italienischen Küstenwache in der letzten Einsatzkonferenz im römischen Innenministerium, „schon bald so dicht ans uns heran wie seinerzeit die Amerikaner bei der Invasion in der Normandie.“ Das ist natürlich übertrieben, denn so viele Schlauchschnellboote haben die professionellen Menschenschieber an der Adriaküste nicht. Aber die Strategie scheint doch immer mehr die breitangelegter, gestaffelter Wellen zu sein, bei der eine ansehnliche Anzahl von Menschen, die von der anderen Seite der Adria kommen, durchschlüpft, weil Italiens Küstenwache nicht alle gleichzeitig abfangen kann.

Mitunter bis zu vierzig Wassergefährte zugleich haben die Polizisten auf ihren Bildschirmen, manche davon mit superpotenten Motoren – „da kommen auch wir mit unseren besseren Flitzern nicht mehr nach“, wie der Offizier sich beklagt –, manche eher Seelenverkäufer, denen sich die Polizisten nur sehr behutsam nähern, „damit die nicht schon durch unsere Bugwellen umgekippt werden“.

Vollgestopft sind die Schiffe und Schiffchen wie immer mit „Flüchtlingen und Heimatmüden, Verzweifelten und auch manchem Abenteurer“, wie il Messaggero die oft zu vielen Dutzenden auf acht bis zehn Quadratmeter Bootsfläche Zusammengepferchten beschreibt.

Eine Passage für alle, die 2.000 Dollar aufbringen

Italiens Innenministerium, das sich wieder einmal als Frontland solcher Aktionen sieht, will nun „rechtzeitig“ eine härtere Gangart einlegen. Denn: „Es handelt sich längst nicht mehr nur um Flüchtlinge aus dem Kosovo wie bis vor kurzem. Da sind unzählige andere darunter, die wir sowieso zurückschicken müssen.“

Tatsächlich finden sich unter den Leuten, die an der italienischen Küste ankommen, mittlerweile wieder mehr Kurden und Inder, Afghanen und Pakistani. Sogar Afrikaner wählen die vermeintlich durchlässigere Balkanroute, weil „wir gehört haben, daß die Italiener alle, die vom Süden herkommen, rücksichtslos sofort zur Umkehr zwingen, ohne sie auch nur an Land zu lassen“.

Bei den Flüchtlingen, die über die Adria kommen, bestand bisher Order, sie in jedem Fall zunächst einmal in Notaufnahmelager zu bringen und danach zu entscheiden, was mit ihnen geschehen soll. Das machte „insofern Sinn“, so das Innenministerium, „als die ,scafisti‘, die Bootsführer, „lange Zeit alle anderen Nationalitäten und Ethnien zurückgesetzt und nur noch Kosovoer auf ihre Schiffe gelassen hatten, ganz einfach weil der Druck von dort zu groß war“. Nun geht es offenbar wieder zurück zur früheren Routine der Annahme schlichtweg aller, die nach Italien wollen und die zwischen 1.000 und 2.000 Dollar Passagegeld aufbringen können.

Dennoch, so monieren Hilfsorganisationen wie die Caritas, „sind wir dabei, das Kind mit dem Bade auszuschütten: Gut 60 Prozent der Menschen in den Flüchtlingsbooten kommen noch immer aus dem Kosovo.“ Es sind vor allem Roma, Nomadengruppen, die von den heimkehrenden Kosovaren in Bausch und Bogen zu Kollaborateuren der Serben erklärt wurden, ohne daß sich jemand die Mühe macht, nachzuprüfen, ob der einzelne dies denn freiwillig getan und ob er überhaupt Verbrechen verübt hat. An die fünftausend „alleine aus diesem Grund nach Italien Geflohener“ haben die Behörden bereits registriert. Die Dunkelziffer derer, die bei den anbrandenen Schiffswellen durch die Linien der Küstenwacht kommen und dann untertauchen, wird von manchen Dienststellen auf das Zwei- bis Dreifache geschätzt.

Aber auch Nichtverfolgte sind darunter, Menschen, die zurückgekehrt waren, aber dort nichts mehr vorgefunden haben. „Unser Haus ist in die Luft gejagt worden, auf den paar Weiden, die wir hatten, haben sie Schmieröl ausgeleert und Komponenten von Explosivstoffen hingekippt“, berichtet ein Mann im Fernsehen. Und viele können einfach nicht mehr dort leben, wo Dutzende ihrer Verwandten zum Teil brutal umgebracht worden sind.

„Wir können keine anderen mehr akzeptieren“

Das Innenministerium sucht derweil die neue Zurückweisungslinie auch als „im Sinne der wirklich bedürftigen Kosovaren“ zu verkaufen. Denn „wenn wir diesen noch ein wenig Bleiberecht geben wollen, können wir niemand anderen mehr akzeptieren.“ Die Küstenwächter zucken die Achseln: Sie sollen jetzt erneut verstärkt werden und die Schlauchboot-Wellen möglichst, wie vor dem Kosovokrieg, bereits vor der albanischen Küste zurückdrängen. Nachprüfen, ob darin „wirklich Bedürftige Kosovoer“ sind oder nicht, können sie dabei wohl nicht.

Werner Raith, Rom