: Renate Künast bleibt – vorerst
■ Die grüne Fraktionschefin ist als Bundessprecherin nicht endgültig aus dem Rennen. Den Berliner Grünen steht ohne Senatsbeteiligung ein Generationswechsel bevor
„Wen sonst“. Erstmals machen die Berliner Grünen ausdrücklich Wahlkampf mit ihrer Spitzenkandidatin, Renate Künast. „Wen sonst“. Das hat sich wohl auch Joschka Fischer gedacht. Der 43-jährigen Fraktionschefin der Berliner Grünen wäre zuzutrauen, mit Entschlossenheit, Biss und Durchsetzungsvermögen den Grünen als Bundessprecherin wieder mehr Profil zu verleihen.
Doch der Personalvorschlag kam zum ungünstigsten Zeitpunkt. Eine Spitzenkandidatin, bei der der Eindruck entsteht, sie sei auf dem Absprung – für die Berliner Grünen ein Desaster, für die Spitzenkandidatin eine Zwickmühle, aus der es kaum ein Entrinnen gibt. „Ich werde auch noch nächstes Jahr Landtagsabgeordnete sein“, sagte sie am Wochenende – ein Satz, der alles offen lässt. Der nahe legt, dass sie später durchaus zur Verfügung stünde.
Künast wäre es kaum zu verdenken, ein Spitzenamt auf Bundesebene zu übernehmen: Nach neun Jahren auf der Oppositionsbank drohen mangels rot-grüner Perspektive noch fünf weitere. Doch zugleich droht die Personaldebatte die Fraktionschefin zu beschädigen: Zu oft schon war sie für Posten im Gespräch, als Justizministerin der Bundesregierung, als EU-Kommissarin, dann als künftige Justizsenatorin in einem rot-grünen Senat, für den es aufgrund der schwachen SPD nun keine Chance mehr gibt.
Und so bringt auch Röstels gestrige Erklärung, dass sie im Amt bleibt, womöglich nur einen Aufschub. Die Amtszeit der Doppelspitze Radcke/Röstel läuft bis zum Herbst 2000. Wenn im Frühjahr ein grüner Parteitag die Aufhebung von Amt und Mandat beschließt, werden die Karten neu gemischt. Eine vorzeitige Sprecherneuwahl ist dann denkbar. Künast könnte kandidieren, ohne ihr Abgeordnetenhausmandat niederlegen zu müssen.
Doch auch wenn sie bliebe, stehen die Berliner Grünen vor einem Generationswechsel. Die alte Garde, die 1989/1990 die kurzlebige rot-grüne Koalition mitgestaltet hat, hat sich neun Jahre lang auf eine erneute Übernahme der Regierungsverantwortung vorbereitet – vergeblich.
Die ehemalige Umweltsenatorin Michaele Schreyer ist EU-Kommissarin, die damalige Schulsenatorin Sybille Volkholz verzichtete auf eine erneute Kandidatur für das Abgeordnetenhaus. Von den Galionsfiguren der Alternativen Liste sind noch der innenpolitische Sprecher Wolfgang Wieland geblieben, der Verkehrsexperte Michael Cramer und der Gesundheitspolitiker Bernd Köppl. Als Politikerin aus dem Ostteil der Stadt hat sich allein Sibyll Klotz eine größere Bekanntheit erarbeitet. Bleiben noch einige gute FachpolitikerInnen aus der zweiten Reihe. Doch was den Grünen fehlt, sind strategische Köpfe und Vordenker, die über ihr Fachgebiet hinausblicken können. Hier würde Künast eine riesige Lücke hinterlassen. Die Berliner Grünen ohne Wieland, Künast oder Cramer? Unvorstellbar.
Im Abgang der Galionsfiguren liegt aber auch die Chance zu einer Erneuerung der Grünen. Oft genug hatten sich Parlamentsneulinge in den letzten vier Jahren beklagt, dass die Altparlamentarier in ihrem Fachgebiete qua Wissensvorsprung dominierten und daneben wenig Raum zur Profilierung bleibe. Auch dies war oft nur die halbe Wahrheit – für manchen war es auch ein willkommenes Entlastungsargument. In vier Jahren vom Newcomer zum Politstar, das schaffen ohnehin nur wenige.
Für die Grünen ist ein Generationswechsel unumgänglich, doch ist er nicht ohne Risiko: Kurzfristig droht ein Verlust an Profil. Denn auch grüne Anhänger identifizieren bestimmte Politikfelder mit Personen – wie Renate Künast oder Wolfgang Wieland, die für demokratische Bürgerrechte stehen. Andere, die sich in den letzten vier Jahren warm gelaufen haben, werden in der nächsten Legislaturperiode die Chance haben, sich in der ersten Reihe zu behaupten – wie Burkhard Müller-Schoenau, der als finanzpolitischer Sprecher in die Fußstapfen von Michaele Schreyer tritt.
Mittelfristig werden die Grünen jedoch neue „Aushängeschilder“ aufbauen müssen. Auf dem Drittel Parlamentsneulinge, die aufgrund der grünen „Neuenquote“ nachrücken, lastet ein hoher Erwartungsdruck. Dorothee Winden
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