Die First Lady schuf einen neuen Stil

■  Raissa Gorbatschowa ist tot. Im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen trat sie öffentlich auf. Ihre Landsleute bedachten sie mit viel Kritik, doch am Ende siegte die Sympathie. Ein Nachruf auf eine Ehe, die mehr war als nur die Summe ihrer Teile

Die Utopie des Paares, das zusammenbleibt in guten wie in bösen Tagen, entspricht noch immer einer starken Sehnsucht

Moskau (taz) – „Was kann ich selbst jetzt tun?“ war die erste Frage, die Raissa Maximowna Gorbatschowa stellte, als man sie Ende Juli über die Natur ihrer Krankheit und ihre Heilungschancen aufklärte. Die Frage zeugte von Raissa Gorbatschowas Sinn für das Machbare, von jenem Realismus, der sie stets auszeichnete. Die 67-Jährige starb gestern in der Universitätsklinik Münster an Krebs.

Was Hillary und Bill Clinton bei Amtsantritt des amerikanischen Präsidenten aller Welt sehr laut verkündeten, das setzten vor ihnen schon Raissa und Michail Gorbatschow in die Tat um: Sie diskutierten und entschieden alle wichtigen Fragen der nationalen Politik gemeinsam – ohne viel Wesens davon zu machen, aber auch ohne Heuchelei. Dass sie sich dabei im Privatleben stets treu blieben, zumindest daran zweifelten die BürgerInnen Russlands nie.

Zu einfach machen es sich westliche Medien, wenn sie es so darstellen, als hätte Raissa Gorbatschowa damals den Zorn der russischen Nation auf sich gezogen, weil sie vom traditionellen russischen Bild der Frau als Hüterin des häuslichen Herdes abgewichen sei. Oder weil sie sich zu sehr in den Vordergrund gedrängt habe und zu elegant und schön gewesen sei. In Wahrheit verhält es sich eher umgekehrt: Frauen und Männer in Russland nahmen es Raissa Maximowna übel, dass sie ihr Potential zu egoistisch nutzte, nur für den eigenen Gatten.

Gewiss war sie gut aussehend und gut gekleidet, aber genauer betrachtet war sie weder richtig elegant noch im landläufigen Sinne schön. Es stimmt: Raissa Maximowna konnte es sich, im Unterschied zu den vorhergehenden Generalsekretärsgattinnnen, erlauben, keine Sackkleider zu tragen – dank ihrer guten Figur.

Aber die „Eleganz“ ihrer Gewänder war weder sexy noch lakonisch. Es war der seidig-glänzende Schleifchen- und Schluppen-Stil einer Nancy Reagan. Was die Schönheit betrifft, so trugen Raissa Gorbatschowas leicht vorgewölbte Mundpartie und ihre wulstige Augenzone zu ihrem Image als äffisches Wesen in den russischen Karikaturen bei.

Vor allem fehlte es ihr an Charme und Wärme. Wenn sie bei den Auslandsreisen ihres Mannes eigene Kulturprogramme initiierte oder vor internationalen Gremien auftrat, entwickelte sie dabei kein Charisma. Raissa Gorbatschowa sprach bei diesen Gelegenheiten selbstbewusst und deutlich, aber lehrerinnenhaft, wie die provinzielle Marxismus-Leninismus-Dozentin, die sie einmal gewesen war. Ihre Haltung wirkte stets leicht hochmütig.

Zweifellos war sie ihrem Mann auch deshalb eine gute Partnerin, weil auch für sie die Politik wichtiger war als irgendein Detail in ihrem Privathaushalt. Als die glücklichsten Momente ihres Lebens nannte sie in einem Interview 1998 ihre Reisen mit Michail Gorbatschow zur hohen Zeit der Perestroika. Als die unglücklichsten: die Blutbäder in Vilnius, Baku und Tbilissi, wo die Sowjetarmee gegen nationale Befreiungsbewegungen vorging.

Aber die Zeitgenossen lasteten die unerbittliche Rächer-Haltung ihres Mannes gegenüber den damals noch mehr demokratischen als nationalistischen Volksfronten in den Unionsrepubliken auch ihr an. Auch auf sie fiel der Schatten jener Kleinlichkeit, mit der Michail Gorbatschow seine innenpolitischen Gegner verleumdete, kaltzustellen versuchte und ihnen jede Minute Redezeit beschnitt, wenn er es nur konnte.

Auf den Grund einer Depression tauchte Raissa Gorbatschowa während des Putsches im Jahre 1991, während der rätselhaften und bis heute noch nicht richtig geklärten tagelangen Haft ihrer Familie in der Sommerresidenz Foros auf der Krim. Die stolze Frau ertrug die Demütigung nicht. Damals erlitt sie einen Schlaganfall, der die vorübergehende Lähmung eines Armes und einer Gesichtshälfte zur Folge hatte. Auch den Zerfall der UdSSR, die schrittweise Degradierung ihres Mannes, dem sein nicht weniger kleinlicher Gegner Boris Jelzin erst den eleganten Dienstwagen nahm, dann die staatliche Leibwache und schließlich das Gebäude für seine Stiftung – dies alles hat sie offenbar schwerer getroffen als den Ex-Präsidenten der UdSSR selbst.

Doch in der Not gewannen die Gorbatschows die Symphatien ihrer Landsleute allmählich wieder zurück. Sie wurden menschlich, sie blieben wohltätig, ohne große Worte darüber zu machen. Und schließlich rührte es alle zu sehen, wie sie ohneeinander nicht leben konnten.

Die Utopie vom Paar, das jung zusammenfindet und beeieinander bleibt, in guten wie in bösen Tagen, bis dass der Tod es scheidet – sie entspricht noch immer einer starken Sehnsucht in den Seelen. In den letzten Tagen strotzten die russischen Zeitungen nur so von Symphatiebekundungen und guten Wünschen für die Gorbatschows. Raissa Maximowna und Michail Sergejewitsch sind ein Ganzes gewesen, und dieses Ganze war mehr als die Summe seiner Teile. Barbara Kerneck