Die StudentInnen von heute: Lieber arbeiten als reisen

■ Sie sind Mitte 20, managen eine erfolgreiche Kommunikationsagentur und verdienen 630 Mark im Monat. Ein etwas anderes Studentenleben – mit Karriereaussichten

Berlin (taz) – Morgens um neun Uhr träumt die Hochschule der Künste (HdK) in Berlin noch vor sich hin. Nur Raum 115 im ersten Stock zittert vor Aktivität und guter Laune. Dort residiert die studentische Kommunikationsagentur „Töchter und Söhne GmbH“.

„Ja, wir wollen schöne Sachen machen“, schmettert Geschäftsführer Tim Stübane, strahlt wie ein Baskettballer und ballt die Faust. „Alle hauen super rein“, begeistert sich Personalleiterin Anja Krutzke: „Der Einsatz ist Wahnsinn.“

Wo andere StudentInnen erstmal fünf Jahre geruhsam ein paar Seminare besuchen, legen sich die Töchter und Söhne schwer ins Zeug: Aufträge aquirieren, Werbe-Ideen ersinnen, Präsentationsmappen erstellen, Firmenvorstände hofieren. Die Agentur arbeitet semiprofessionell in den Bereichen Grafik, Werbung, Öffentlichkeitsarbeit und verkauft prinzipiell alle Leistungen, die die StudentInnen an der Hochschule der Künste erlernen. Wer ein neues Textilmuster für die Uniformen seiner Angestellten braucht, ist ebenso willkommen wie ImmobilienbesitzerInnen, die Wert auf Kunst am Bau legen.

Tim Stübane ist 24 Jahre alt – und hat nichts Besseres zu tun, als vierzehn Stunden am Tag zu arbeiten. Zusammen mit dem siebenköpfigen Leitungsteam organisiert er bis zu 50 freie MitarbeiterInnen – allesamt StudentInnen im Hauptstudium. In der Schule, erzählt Stübane, schwankte er zwischen Kunst und Naturwissenschaft, ein Semester Zahnmedizin war ihm zu langweilig.

Nun ist er Manager. „Eine krasse Arbeitsbelastung“, sagt Stübane und macht kurzzeitig einen schlappen Eindruck. Doch dann fällt ihm ein, wie sich abends die Pizzapackungen zwischen den Computern stapeln, der hohe Raum von der gedanklichen Energie 20 angehender Führungskräfte flirrt und gemeinsam eine geile Werbe-Idee geboren wird. Seine Laune hebt sich wieder. Wenn er erst um 23 Uhr die Bürotür hinter sich schließt – macht nichts.

Erfolg haben und Spaß zugleich. Das Leben selbst in die Hand nehmen – müssen. Die Töchter und Söhne Helmut Kohls reiten auf der Welle des Zeitgeistes in Richtung Neuer Mitte. Mehr Individuum, weniger Gesellschaft: „Wir finden Wege, ohne den Staat zu bitten“, formuliert Anja Krutzke programmatisch.

Wenn die Agentur Preise verliehen bekommt – was nicht selten passiert –, prämieren die JurorInnen nicht nur eine Kampagne, ein pfiffiges Konzept, ein außergewöhnliches Logo. Auf dem Siegertreppchen steht auch immer ein Modell: Hochschule goes Marktwirtschaft. „Was kann die Uni selbst tun?“, lautete vor zwei Jahren die Ausgangsfrage, als die Sparpolitik die HdK strangulierte. Nun steht die Künstler-Uni gut da: Sie hat nicht nur ihre Vorzeige-Agentur, sondern auch eine Stiftungsprofessur: Die Stelle eines Hochschullehrers wird nicht vom Staat finanziert, sondern von Unternehmen der Wirtschaft.

Vor zwei Jahren gründeten das studentische „Kommunikationsforum“ und die Hochschule die Agentur, um den StudentInnen ein wenig Praxis neben der Theorie zu vermitteln. Mittlerweile hat sich die Kaderschmiede zu einem erstklassigen Sprungbrett auf den Arbeitsmarkt entwickelt. StudentInnen, die zum Vorstellungsgespräch in ihrer Mappe eine Werbe-Idee wie den „Otto-Motor“ vorweisen, haben gute Karten. Denn die von der Agentur entworfenen Anzeigen, mit der der Otto-Versand Nachwuchs für sein Unternehmen sucht, erhielt einen Preis als beste Personalanzeige des Jahres 1999. Die Präsentationspappe zeigt ein menschliches Gehirn in der Luftbildperspektive. Drum herum stehen Wörter, die die Anforderungen an die KandidatInnen beschreiben: „mutig“, „sympathisch“...

„Wir sind die Renner“, begeistert sich Tim Stübane und zählt ein paar große Werbeagenturen in Düsseldorf und Hamburg auf, die ehemaligen KommilitonInnen vom Agenturcomputer weg engagierten. Die Hoffnung auf Karriere und einen schnellen Job – das ist es, was den Werbenachwuchs so manches ertragen läßt: die schmale Zeit, die für das Studium übrig bleibt, die 630 Mark, die die Arbeitstiere maximal im Monat bekommen. Was das Studium sonst noch bedeuten könnte, fällt größtenteils flach. Lange Reisen? Geht nicht. „Man hat immer das Gefühl, etwas in der Agentur zu verpassen“, sagt der 24-jährige Mirko Stolz. Tim Stübane findet gerade Zeit, für eine Woche nach Mallorca zu fliegen. Dann ruft schon wieder die Werbewirtschaft. Hannes Koch