Plunderphonics und andere Maschinenköpfe

■ Auf dem Seziertisch: Im Podewil beginnt die Veranstaltungsreihe „Sampling Rage“

An der Verselbstständigung von Technik und künstlicher Intelligenz wird ja bekanntlich fieberhaft gearbeitet. Bislang allerdings bedeutet Technik nichts ohne den, der sie kreativ zu nutzen weiss: Der Mensch erst haucht den Dingen Leben ein. Auch die Produktion von noch so „kalt“ und „unmenschlich“ klingenden Techno-Tracks ist ein zutiefst humaner Vorgang. An den Maschinen wird liebevoll herumgespielt, am liebsten werden sie gegen die Bedienungsanleitung verwandt, es wird viel mit „Fehlern“ und Zufall gearbeitet, und um den Kisten etwa verkifft klingende Klänge zu entlocken, wird gerne erst nochmal einer durchgezogen.

Der Maschinenkünstler geht eine symbiotische Beziehung mit der Technik ein: Der Dub-Pionier King Tubby beispielsweise begriff das Mischpult nicht bloß als Mischpult, sondern als Instrument, und Markus Popp, der durch seine abstrakten Schlaufen aus elektronischer Musik weltberühmt wurde, benutzt den CD-Player als Verfremdungsmaschine: Er füttert ihn mit von ihm manipulierten CDs, bis er eigenartige Klickgeräusche zurückbekommt, die er dann weiterverarbeiten kann. Popp ist auch bei dem zweiten Teil der im Podewil stattfindenden Reihe „Sampling Rage“ mit dabei.

Bei popkulturellen Debatten um HipHop und elektronische Musik ist viel die Rede von Sampling als Erinnerungstechnik: als postmoderner Möglichkeit, die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu verwischen. Wenn – ein aktuelles Beispiel – der französische Houseproduzent Alex Gopher in seinem kleinen Hit „The Child“ Billy Holliday sampelt, erklingt deren Stimme nicht als Zitat, sondern als etwas Neues.

„Sampling Rage“ versucht nun, den Sampler nicht bloß theoretisch zu begreifen: als kulturoptimistisch gedachte Möglichkeit zur Vergangenheitsbewältigung und Reorganisationssystematik im immer größer werdenden Archiv unseres kulturellen Gedächtnisses. Sie versucht vielmehr, sich der Technik im musikalischen Experiment zu nähern, sie zu sezieren und auf bisher noch nicht genutzte Möglichkeiten abzuklopfen. Der Sampler soll dekonstruiert werden, um ihn noch nutzbarer zu machen. Ganz im Sinne King Tubbys: den Sampler als Instrument begreifen.

Unterschiedlich arbeitende Künstler werden sich in den nächsten Wochen zu Arbeitsgruppen zusammenfinden – das Ganze hat durchaus Workshopcharakter – um sich gegenseitig Soundbälle zuzuwerfen, Gesampeltes nochmals zu verarbeiten, Stücke tot zu sampeln, zufällig irgendwo gefundene Geräusche digital zu bearbeiten oder durch den Zufallsgenerator zu jagen, um sie dann wieder – ja, genau: zu sampeln.

Für das ambitionierte Projekt haben sich eine Menge renommierter Namen aus verschiedenen Bereichen der experimentellen Musik finden lassen. David Shea beispielsweise gilt als wilder Sample-Wizard – und für diese Spezies gibt es sogar einen eigenen Namen: Plunderphonic-Künstler –, und Terre Thaemlitz wird mit dabei sein, der mit seinen Versuchen, Techno- und Gender-Diskurse zu synthetisieren, derzeit für Aufsehen im Popzusammenhang sorgt.

Ingesamt sind 19 Künstler, verteilt auf vier Abende, geladen. Diese Veranstaltung soll allerdings nicht bloß ein Forschungsprojekt sein, sondern natürlich auch einfach „mit der Hoffnung auf spannende, schöne und neuartige musikalische Ereignisse“ verbunden sein. Und das war ein Sample aus dem „Sampling Rage“-Programmheft.

Andreas Hartmann

„Sampling Rage“: immer montags, vom 27. 9. bis zum 18. 10., jeweils 20 Uhr im Podewil. Heute mit: Steve Roden, Brandon LaBelle, Christophe Charles, Markus Popp