Deep Purple auf der Nasenflöte

■  Die KPD/RZ, Partei aller Kreuzberger, will mit dem Schlachtruf „Euch Diät, uns Diäten“ in die BVV einziehen. Im SO 36 wurde schon einmal fröhlich eingeschenkt, denn die „Wiedereinführung der Demokratie in Kreuzberg“ steht unmittelbar bevor

Der Mann im braunen Hemd mit dem Parteiabzeichen mit Zahnradkranz auf der Krawatte weiß, was Kreuzberger Wähler wünschen. „Freiheit, Gleichheit, Obrigkeit!“, schmettert er seinen Zuhörern entgegen. Frenetischer Applaus erfüllt den Konzertsaal des SO 36 im Herzen Kreuzbergs. Hier, wo das Weltgeschehen seinen schönsten Schauplatz hat, feiern die „Kreuzberger Patriotischen Demokraten/ Realistisches Zentrum“ (KPD/RZ) an diesem Wochenende ihre Wahlgala unter dem „Arbeitstitel: Fröhlich eingeschenkt“.

Weil der Satire-Partei Politikverdrossenheit als „altgermanisches Kulturerbe“ gilt, haben sich ihre Funktionäre mächtig ins Zeug gelegt, um die Wählerschaft bei guter Laune zu halten. Die Wahlgala ist nicht nur die erste Wahlkampfveranstaltung, deren Exklusivität durch einen Unkostenbeitrag ins Grenzenlose gesteigert wird. Als selbst ernannte „Multimedia-Partei“ präsentiert die KPD/RZ „erstmalig in der Weltgeschichte eine Simultandarstellung von neuer Videotechnik und alter Diatechnik“, wie der Parteivorsitzende Otto Feder sagt. Dem „Original Oberkreuzberger Nasenflötenorchester“, das sich als „der rechte Nasenflügel der Partei“ versteht, gelingt es sogar, das Publikum in Begeisterungsstürme zu versetzen. Klassiker wie Deep Purples „Sweet Child in time“ oder der Soundtrack des Westerns „Der Gute, der Böse und der Häßliche“ werden von dem siebenköpfigen Chor unbeirrt auf der Nasenflöte vorgetragen.

Unbestrittener Höhepunkt des Abends: Die programmatischen Reden der KPD/RZ-Kandidaten. „Die Gesellschaft muss in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden“, verspricht der adrett gekleidete Vorsitzende Feder seinen Anhängern. „Jedes Neugeborene bekommt eine befristete Aufenthaltgenehmigung und hat das Recht auf eine Scheinselbstständigkeit.“ Sein Nachredner kündigt gar die „Wiedereinführung der Demokratie in Kreuzberg“ an.

Die Wahlversprechen, mit denen die KPD/RZ die „Friedenswahl“ am 10. Oktober gewinnen will, sind zugegebenermaßen trendy: Umbenennung der Polizei in „Gärtnereibetrieb K. Szerwinczsky & Söhne“, das Verbot von Kriminalität aller Art oder die Schaffung eines Stadtratspostens zur Bekämpfung der Illuminaten lauten die Eckpfeiler des „0,5-Toleranz-Konzeptes“ zur Inneren Sicherheit. Und auch die Programmpunkte „Brandrodung des Reichstages zur Gewinnung von Ackerland“ oder „Mehr Glück für ortsansässige Sportvereine“ zeigen, dass sich die KPD/RZ nicht länger hinter den politischen Konkurrenten zu verstecken braucht.

Besonders die Jungwähler will die Partei mobilisieren. Eine Beratungsstunde für Erstwähler ist daher Pflicht. Kandidatin Sarah Schmidt lässt keine Frage unbeantwortet, auch nicht die nach der richtigen Wahlkleidung. Und: „Euer Körper wird euch den Weg zur Urne zeigen.“ Selbst das Publikum, das auf Wahlterminen in der Regel durch Desinteresse glänzt, nimmt hier kein Blatt vor den Mund. „Denkst du manchmal über den Tod nach?“, will ein politisch interessierter junger Mann von der vom Volk sichtlich vergötterten „Bezirksbürgermeisterin der Herzen“, Nanette Fleig, wissen. Die enthält sich zwar einer Antwort, lächelt dafür umso charmanter der Menge zu. Politik auf professionellem Niveau.

Der Plan der KPD/RZ, die Verschmelzung von Politik und Kultur zur „Politur“ voranzutreiben, könnte auch am 10. Oktober aufgehen: Bei den BVV-Wahlen 1994 verpasste die Partei mit einem Ergebnis von über 4 Prozent knapp den Einzug in das Kreuzberger Kommunalparlament. Diesmal gilt nur eine Hürde, die bei ungefähr 3 Prozent liegt. Gemäß ihrem Motto „Euch Diät, uns Diäten“ dürfte die Partei großen Zeiten entgegengehen. Andreas Spannbauer

Ein Wahlwerbespot der KPD/RZ ist morgen unmittelbar vor 18 Uhr auf B 1 zu sehen