Vom Kosovo-Krieg zur Friedensparty

■ Wie Franz Alt und drei Akrobaten einmal fast den Sieg über die Serben gefeiert hätten

Man kann es als Schabernack betrachten, aber auch als Intelligenztest: Wer ist eigentlich dumm genug, auf eine Agentur hereinzufallen, die im Namen der Bundesregierung zu einer „Friedensparty“ in Berlin einlädt, mit Kosovo-Freiwilligen-Parade, Straßenmalerei und Brillant-Feuerwerk?

Im September 1999 schickte die fiktive „Agentur 2001“ übers Faxgerät der taz-Wahrheit-Redaktion Einladungen zu einer solchen Party in alle Welt hinaus:

„Sehr geehrte Damen und Herren, die Bundesregierung hat uns damit beauftragt, eine Friedensparty auszurichten. Sie soll anlässlich der Beilegung des Kosovo-Konflikts am 9. November 1999 in Berlin stattfinden.

Geplant ist eine Friedensparty zwischen Siegessäule und Alexanderplatz, mit Reden, Musik, Pantomimen, Schattentheater, Kabarett, Jonglage, Videos, Straßenmalerei und einer Parade der Freiwilligen des Kosovo-Einsatzes. Hauptbühnen sollen vor dem Reichstag und am Brandenburger Tor errichtet werden. Aber auch auf zahlreichen Nebenbühnen sollen Prominente zu Wort kommen.

Wir würden uns freuen, wenn auch Sie sich zu einer aktiven Teilnahme entschließen könnten. Auf Wunsch faxen wir Ihnen gern unseren bisherigen Friedensparty-Fahrplan zu (drei Seiten).“

Unterzeichnet hatte das Schreiben mit freundlichen Grüßen der imaginäre Geschäftsführer Dr. Alexander Steinmeyer (i. A. Koch). Ein paar Prominente waren in der Anrede persönlich angesprochen worden, u.a. Thomas Gottschalk, Günter Kunert, James Last, Gerhard Löwenthal, Franz Alt, Alfred Biolek, Ulrich Beck, Wolfgang Niedecken, Eugen Drewermann, Christa Wolf, Alice Schwarzer, Dieter Thomas Heck und Heino.

Bemustert wurden auch einige Agenturen, z.B. „Alles Show Charlottenburg“, „Berlin Acts“, „United Noses Clowns“, „Bad Boys“ („Stilvolle Damen- und Herrenstrips für jeden Anlass, Preisknüller für Polizistenstrips!“) oder „Zander & Partner“, die den Berliner Gelben Seiten zufolge für Artisten, Flamenco, Feuerwerke, Eisskulpturen, Living Dolls und Stimmenimitatoren zuständig sind. Außerdem erhielten das Fax u.a. der „Verein für Traber- und Warmblutzucht im Rottal e.V.“, der Kieler Verein „Eltern für unbelastete Nahrung e.V.“, die Würzburger „Stiftung Kulturwerk Schlesien“, der „Ring deutscher Pfadfinderverbände“ in Neuss, der „Berufsverband Deutscher Yogalehrer“ in Erlabrunn, der „Verband der Vereinigungen Alter Burschenschafter“ in Saarbrücken, der „Verband Deutscher Brieftaubenzüchter“ in Essen, die „Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten“ in Hannover und der „Pinscher-Schnauzer-Klub 1895 e.V.“ in Remscheid. Und Bayern München. Und der SV Meppen.

„Bitte Plan faxen!“ teilte, per Fax, die Nürnberger „Deutsche Akademie des Tanzes e.V.“ mit. „Bitte faxen Sie uns Ihren bisherigen Friedensparty-Fahrplan zu. Mit bestem Dank im Voraus!“, faxte die „Sudetendeutsche Landsmannschaft“, und auch Christiane Kramer vom „Referat Öffentlichkeitsarbeit“ des Freiburger Dachverbands „Caritas international“ („Für Menschen in Not“) zeigte sich interessiert. Telefonisch baten das „Deutsche Jugendherbergswerk“, ein Herr Ulrich von der „Deutschen Rassekatzen-Union“ und ein Herr Buddrich von der „Interessengemeinschaft Passionsblumen“ um den Fahrplan. Geplant, hieß es darin, seien u. a. folgende „Events“:

„Vorträge (über Friedenspolitik, Konfliktforschung, Feminismus und Krieg etc.) von Cora Stephan, Gertrud Höhler (angefragt), Horst-Eberhard Richter, Joachim Maaz, Peter Sloterdijk (angefragt), Ulrich Wickert u. a. – 'Vom Krisenmanagement zur humanitären Intervention‘: Militärhistorische Referate und Diskussion mit Mitgliedern der Akademie der Bundeswehr – Texte über den Krieg (Schriftstellerinnen und Schriftsteller lesen Tolstoi, Kleist, Bertha von Suttner und eigene Texte) – Folklore von Künstlern aus dem ehemaligen Jugoslawien und anderen Regionen – Auftritte von internationalen Liedermachern – Informationsstände von Verbänden, Vereinen und gemeinnützigen Organisationen – 'Let's talk about war ...‘ (Podiumsdiskussion zwischen Kriegsreportern, Konfliktforschern und Vertretern von Hilfsorganisationen) – Mütterzentrum 'Scheherazade 2000‘ (Begegnungsmöglichkeit und Erfahrungsaustauschbörse mit Soldatenmüttern und Soldatenfrauen aus Russland, USA, Kroatien, Deutschland und Österreich) – 'Küchen der Welt‘ (Imbissstände mit Spezialitäten aus vielen Ländern) – offene Malbühne – freie Aktivitäten (mit Kinderbetreuung), Friedensunterricht, Spiele ohne Verlierer – Friedenszelt (Kinder-Mitmach-Aktion, Action-Painting, Kissenschlacht mit Politikern, Kinder malen den Krieg, Liederbude, Dia-Show etc.) – Panoramashow – Parade der Freiwilligen des Kosovo-Einsatzes – Hauptbühne A (16 – 18 Uhr): Reden von Johannes Rau, Gerhard Schröder, Joseph Fischer – Hauptbühne B (16.30 – 19 Uhr): Reden von Rudolf Scharping, Angelika Beer, Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und Nelson Mandela (angefragt) – Hauptbühne A (18.30 – 22.30 Uhr) und Hauptbühne B (19.30 – 23 Uhr): Musikprogramm mit internationalen Künstlern – 23 Uhr Brillant-Feuerwerk – Ab 23.15 Uhr auf allen Bühnen: Openend bis ...?“

Dieses schauderhafte Ratatouille aus Friedensbewegungskitsch, Militarismus, heißer Luft und Betriebsnudeligkeit war zuviel für die „Deutsche Rassekatzen-Union“. Sie verstummte.

Herr Buddrich von der „Interessengemeinschaft Passionsblumen“ war es, der als erster wissen wollte, weshalb die „Agentur 2001“ eigentlich dieselbe Faxnummer habe wie die taz. Eine interessante Frage, auf die Herr Buddrich jedoch keine plausible Antwort erhielt.

Langsamer fiel der Groschen beim Bundespresseamt. Das war zwar gar nicht eingeladen, hatte aber doch auf Umwegen Wind von der Sache bekommen. Es wurde fuchsig und wollte wissen, wer oder was dahinterstecke. Nach kurzem Kriegsrat beschloss der Agenturvorstand, das Bundespresseamt einfach seinen Meditationen zu überlassen.

Dann rief ein Herr von der Berliner „Gruppe Lametta“ an: „Wir sind drei Akrobaten, die in Goldfarbe arbeiten und halt akrobatische Pyramiden bauen, nach schöner Musik. Das könnte man dort eventuell mit ins Programm nehmen.“ Könnte man natürlich.

Andere waren gewitzter. „Leider ist der Heino vom sechsten bis vierzehnten November in Amerika und leider überhaupt nicht für uns greifbar, tut mir wahnsinnig leid“, erklärte eine Dame vom „Büro Heino-Telefon“. Ein lakonisches Absage-Fax schickte der Schriftsteller Günter Kunert: „Sehr geehrter Herr Dr. Steinmeyer, leider – es ist mir nicht möglich, zu diesem Termin nach Berlin zu kommen.“ Vielleicht klappt es ja nach dem nächsten Krieg.

Unterdessen unterbreitete das „Ballettförderzentrum Nürnberg e.V.“ der „Agentur 2001“ den Vorschlag, die „Nürnberg Junior Dancers“ am Rande der Parade für 150 bis 200 Mark pro Nase ein „Stück mit dem Titel AGGRESSION“ tanzen zu lassen: „Die Choreografie für 16 Tänzer – von dem Choreografen Heinz Manniegel (München) – inszeniert, wurde bereits mehrfach erfolgreich aufgeführt und würde unseres Erachtens sinnvoll das von Ihnen bislang geplante Programm ergänzen.“

Über eine „baldige Rückantwort“ hätte sich der zuständige „Artist Director“ Raymund Maurin „sehr“ gefreut, aber es gibt untere Grenzen. Junge Tanztalente sollten sich zu schade dafür sein, eine Truppenparade sinnvoll zu ergänzen.

Dann rief Franz Alt an. Der Anrufbeantworter hörte zu: „Hier ist Franz Alt für Doktor Steinmeyer. Herr Steinmeyer, ich hab noch zwei Fragen zu dem Fax über die Friedensparty für die Bundesregierung. Um wieviel Uhr ist das am neunten? Weil ich da auch sonst noch Termine habe, am neunten November. Und zweitens zum Inhalt. Also, ich bin nicht sicher, ob Sie da bei mir richtig liegen. Ich hab mich mehrmals während des Krieges auch in Fernsehsendungen gegen den Krieg ausgesprochen und hab ihn für politisch und ethisch verkehrt und falsch und unverantwortlich gehalten. Ich weiß nicht, ob so eine Position überhaupt in Ihrem Sinne, im Sinne der Bundesregierung ist, also ich hab da eine bisschen kritische Position. Wenn Sie trotzdem meinen, das ist erwünscht, dann können Sie mich ja gerne noch mal anrufen und ein Fax schicken.“

Als bezahlter Zaungast hätte der ein bisschen kritisch positionierte Kriegsgegner Alt bei der Soldatenparade sicherlich zur Gardegarnitur gezählt. Allein Franz Alt macht in letzter Sekunde einen Rückzieher (s. Abb.).

Bis auf Franz Alt, drei Akrobaten, einen närrischen Artist Director und das Bundespresseamt hat die deutsche Prominenz und Vereinsmeierschaft den Intelligenztest bravourös bestanden. Und sich für höhere Aufgaben empfohlen. Die sollen ihr dann ein andermal gestellt werden. Von der Sphinx oder von Tratschke. Gerhard Henschel