■ Press-Schlag: Fünf steigen ab Ein radiophoner Spaziergang mit Milena (1)
Italienreisende kennen den Anblick: Sonntags nachmittags machen die Familien gern einen Spaziergang. Papa schert sich dabei wenig um Weib und Kind, sondern presst ein kleines Radio ans Ohr und lauscht den Verbal-Kalaschnikows, die mit 3.000 Silben pro Minute die Spiele der Serie A in Konferenzschaltung präsentieren.
Es gibt das Phänomen „Bundesligaspaziergang“ auch in Deutschland: Samstags gegen 15.30 Uhr greift Papa zum kleinen Weltempfänger, steckt einen Kopfhörer ein und schiebt bis 17.20 Uhr Tochter Milena (1) durch den Frankfurter Stadtwald – immer um den Jacobiweiher und unter den anfliegenden Jumbos hindurch.
Nun kann die Bundesliga im Radio ja tatsächlich einen Mordsspaß machen. Spannend ist es, man erinnert sich an die eigene Pennälerzeit mit Jochen Hageleit und Kurt Brumme, und wer sich die CD mit der Konferenzschaltung des Abstiegsdramas vom 29. Mai 99 anhört, bekommt noch heute zwei bis drei Gänsehäute. Um 16.55 Uhr beginnt auf allen Sendern die legendäre Konferenzschaltung des WDR – das stets aufs Neue fesselnde Spiel einander ins Wort fallender bzw. verzweifelt um Gehör flehender Reporter („Rote Karte in Rostock! Hans-Peter, einen Augenblick! Rote Karte in Rostock!“).
Es könnte so schön sein – wenn nur sie nicht wäre: Sabine Töpperwien, die ewig aufgeregte Urgroßmutter des gleichnamigen ZDF-Reporters. Unter sinnentstellender Betonung jeder zweiten Silbe (immer der falschen) kräht sie so sprachzermanschend und nervenzerfetzend durch den Äther, dass im Stadtwald die Vögel tot von den Bäumen fallen, arglose Spaziergänger sich entsetzt in den Weiher stürzen, die Einflugschneise verlegt werden muss – und die peinlich berührte Tochter Milena vom Vater unmissverständlich das Aufsetzen der Kopfhörer verlangt.
Einziger Hoffnungsschimmer: Töpperwien berichtet ausschließlich aus den Stadien an Rhein und Ruhr. Am Samstag war sie in Dortmund. Zur Halbzeit meldete das Funkhaus mit entlarvendem Blick auf das Premiere-TV-Bild: „In Dortmund wird noch nicht wieder gespielt, aber Sabine spricht schon wieder ...“ So ist das mit ihr.
Um die Zuhörer zu schützen, läuft seit einigen Jahren das Geheimprogramm „Nie wieder Sabine“, mit dem die West-Vereine, die einst die Hälfte der Bundesliga stellten, bis spätestens Mai 2000 komplett eliminiert werden sollen. Beteiligt sind alle Schiedsrichter, die Lufthansa AG, Greenpeace, der reumütige WDR und die Illuminaten. In jüngerer Zeit unauffällig entsorgt wurden bereits Uerdingen, Köln, Bochum, Gladbach und Düsseldorf. Fehlen nur noch: Bielefeld, Duisburg, Schalke, Dortmund und Leverkusen. Bei den ersten drei dürfte dies unbemerkt vor sich gehen, gestern taten der MSV und S04 schon, was sie konnten beim offenbar grässlichen 1:1. Für Dortmund und Leverkusen wird man sich am Saisonende allerdings etwas einfallen lassen müssen. Und alles nur wegen Sabine. Live vom Jacobiweiher:
Oliver Thomas Domzalski
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