■ Seit der Bundestagswahl vor einem Jahr geht es mit den Grünen bergab. Denn viele fragen: Was ist noch grün an Rot-Grün?
: Kein Ort. Nirgends

Der Atomausstieg ist für die Politik der Grünen wichtiger als alle Strukturdebatten

Nach der Bundestagswahl vom letzten September musste uns allen klar sein, dass den Grünen in der Regierung nur ein sehr begrenzter Machtanteil und entsprechend wenig Gestaltungsspielräume zustehen würden. Die katastrophalen Wahlergebnisse der vergangenen Sonntage verweisen allerdings weniger auf dieses Einflussgrenzen als auf zentrale wunde Punkte unserer Politik.

Bloße Durchhalteparolen und wiederholt vom Zaun gebrochene Strukturdebatten werden den Abwärtstrend genauso wenig bremsen können wie gemeinsames öffentliches Schweigen. Seit der Niedersachsen-Wahl vom vergangenen Jahr zeigen alle Landtagswahlen, dass es einen Schwächezustand der Grünen insgesamt gibt, der mit regionalen Besonderheiten nicht ausreichend zu erklären ist.

Wo immer derzeit unter grünen (Ex-)WählerInnen über den Stand grüner Themen gerdet wird, geht es vorrangig um eine simple Frage: Was ist derzeit eigentlich noch grün bei Rot-Grün? Diese Frage wird mittlerweile auch von Leuten gestellt, denen man weder Böswilligkeit noch fundamentalistische Blindheit unterstellen kann. Hier soll der Versuch gemacht werden, einige Antworten zu geben.

1. Dabei ist eines vorab festzustellen: Die Haushaltskonsolidierung, die dem Staat wenigstens wieder etwas mehr politische Handlungsfähigkeit gibt, ist nicht das zentrale Problem, weswegen unsere bisherigen WählerInnen zu Hause bleiben. Wir schaffen es jedoch nicht, diese Haushaltsoperation in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

Weder gibt es deutliche Anstrengungen, unsere Haushaltspolitik mit dem Begriff „Gerechtigkeit“ oder „Nachhaltigkeit“ zu verbinden, noch wird eine Debatte über die Zukunft der Gesellschaft über grundlegend veränderte Anforderungen an einen handlungsfähigen Staat geführt. Visionen einer gerechten Gesellschaft gibt es nicht mehr, stattdessen wird nach jeder Wahlniederlage immer wieder betont, der Kurs sei richtig, die WählerInnen würden ihn jedoch (jetzt noch) nicht verstehen.

Dabei wird übersehen, dass Grüne und SPD auch deshalb gewählt wurden, um die erkennbare Schieflage der Kohl-Regierung in Gerechtigkeitsfragen zu korrigieren. Jetzt diese Frage auszublenden, und den Eindruck zu erwecken, dass Gerechtigkeit hinter Konsolidierung zurückzutreten habe, ist verhängnisvoll. Müssen Grüne eigentlich zu den Ersten gehören, die müde abwinken, wenn der Frage nachgegangen wird, ob nicht nur Arbeitslose und Rentner, sondern auch die Reichen in der Gesellschaft ihr Scherflein zugunsten der Haushaltskonsolidierung beizutragen haben?

Und wenn eine Steuer auf privates Vermögen dieses Funktion nicht erfüllt – sie würde vor allem den Mittelstand belasten und die Umdeklaration von privatem in betriebliches Vermögen nicht verhindern – dann ist eine angemesssene Erbschaftssteuer das Gebot der Stunde. Das hat nichts mit sozialutopischer Robin-Hood-Romantik zu tun, sondern mit sozialer Balance. Wenn die ganze Republik mittlerweile über soziale Gerechtigkeit diskutiert, sollten die Grünen sich nicht auf die bloße Rolle der besseren Haushaltsingenieure beschränken.

2. Der grüne Außenminister beharrt selbst gern darauf, dass es nur eine deutsche, nicht aber eine grüne Außenpolitik gebe. Die Grünen machen den Fehler, dass sie diese Aussage für bare Münze nehmen.

Kaum jemand in der Partei versucht, die Veränderungen in der Außenpolitik, das positive Image Joschka Fischers für die Partei zu nutzen. Denn es gibt gerade in der Außenpolitik wohl tuende Veränderungen, die sehr viel mit grüner Politik und kaum etwas mit den außenpolitischen Traditionen der beiden Volksparteien zu tun haben.

Der neue Umgang mit der Türkei ist dafür ein überaus anschauliches Beispiel: Wo die frühere Regierung – unter beifälligem Schweigen der damaligen Opposition SPD – auf ethnische Differenzen in der Frage des EU-Beitritts der Türkei setze, konzentriert die neue Außenpolitik ihr Augenmerk auf den Willen und die Fähigkeit der Türkei, ihre Verhältnisse den in der EU erreichten Verfassungs- und Menschenrechtsstandards anzugleichen. Dies ist eine entscheidende Veränderung, auch wenn damit keinesfalls behauptet werden soll, dass Menschenrechte schon ausreichend zur Grundlage der Außenpolitik gemacht wurden. Europa als multiethnisches Projekt gemeinsamer Verfassungswerte – das ist sehr wohl ein grüner Ansatz bei Rot-Grün in Berlin, aber offenbar wird er von der grünen Partei als fachpolitisches Problem des Außenministers abgelegt, statt ihn offensiv zu nutzen.

Und warum schweigt unsere Partei eigentlich so ausdrucksstark, wenn die für die asylrechtliche Praxis der Bundesrepublik so wichtigen Lageberichte des Auswärtigen Amts endlich die überfälligen Veränderungen in der Frage der Beurteilungsparameter erfahren und das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als spätere Entscheidungsbehörde an der Erstellung der Berichte nicht länger beteiligt wird?

3. Anders sehen die Probleme im Bereich der Innenpolitik, vor allem der Umweltpolitik, aus. Hier gab und gibt es zwar den grünen Erfolg in der Frage der Ökosteuer – mancher Ungereimtheit im Detail zum Trotz. Die von uns Grünen allenfalls als Routinedissens mit der SPD behandelte europäische Altautoverordnung ist dagegen zu einem Symbol einer verhängnisvollen Umweltpolitik geworden. Die Gelassenheit, mit der eine weitere Niederlage leidenschaftslos hingenommen wurde, hat nachhaltige Wirkung erzielt.

Die Frage, die uns immer nachdrücklicher gestellt wird, ist, wofür wir Grünen in unserem politischen Kernbereich überhaupt stehen – oder ob wir unter dem Motto „Dabei sein ist alles“ mit der bloßen Existenz als Regierungspartei schon (selbst-)zufrieden sind.

Ökologie ist und bleibt ein Zukunftsthema – allerdings nicht in der von uns präsentierten Form. Wir nutzen unsere Regierungstätigkeit nicht, um unseren politischen Kernbereich zu erneuern, wir sind weder beim klassischen Naturschutz präsent noch Motor der Modernisierung des Umweltschutzes.

Auch wenn es Teilen der Grünen immer noch schwer fällt: Ohne aktive Technologiepolitik werden weder die weltweiten ökologischen Probleme gelöst werden können, noch wird es unserer Partei gelingen, JungwählerInnen wieder zu gewinnen.

Politik, die sich zurückzieht, wenn kein Konsens erreichbar ist, wird überflüssig

Ökologie und technische Innovation sind heute kein Widerspruch mehr. Dabei wird auch dem Dialog mit der Wirtschaft eine veränderte Rolle zu kommen. Allerdings: Konsens mit der Wirtschaft ist gut und wertvoll. Umso besser, wenn es ihn gibt und die mühseligen Wege der Gesetzgebung entbehrlich sind. Wo der Konsens aber scheitert, weil wie auch immer geartete Lobbyinteressen ihm im Wege stehen, erwarten BürgerInnen zu Recht die Mittel der Politik zur Durchsetzung dessen, was sie im Interesse des Gemeinwohls jeweils für geboten halten.

Eine Politik, die sich vornehm zurückzieht, wenn kein Konsens zu erreichen ist, dürfte sich – nicht nur im Bereich der Atomwirtschaft – bald selbst überflüssig machen. Im schlimmsten Fall fördert sie beim Publikum die Neigung zur Brachialpolitik. Im Übrigen ist im Kanzleramt die Neigung zu einer Politik des Konsenses ja auch durchaus unterschiedlich verteilt. Im Umgang mit Rentnern und Arbeitslosen besteht etwa durchaus Konfliktbereitschaft. Warum soll es eigentlich anders sein, wenn es im Interesse einer sicheren Umwelt um Konflikte mit Einzelinteressen der Automobil- oder der Atomwirtschaft geht?

Der Ausstieg aus der Atomenergie ist sicherlich ein faktisch wie rechtlich höchst schwieriges Unterfangen, das seine Zeit braucht. Allerdings gibt es im Grundgesetz auch keinen Satz, der besagt, die Atomenergie sei unantastbar. Verfassungsrechtliche Restrisiken gibt es bei allen großen Streitfragen der Zeit, sie lassen sich nicht mit naturwissenschaftlicher Sicherheit ausschließen. Wenn die Angst vor diesem Restrisiko zum Maß aller Dinge wird, kann der Gesetzgeber dichtmachen. Bis heute hätten wir beispielsweise im Recht des Schwangerschaftsabbruchs noch keine Fortschritte, wenn der Konsens mit der katholischen Kirche das ausschlaggebende Kriterium gewesen wäre.

Der Atomausstieg ist der zentrale Punkt für die Politik der Grünen – nicht nur für die Regierungsbeteiligung. Dies umso mehr, da wir alle wissen müssen, dass auch noch die Frage des Transports und der Zwischenlagerung der abgebrannten Brennelemente eine zentrale Rolle spielen wird. Diese Fragen werden für uns wichtiger als alle internen Strukturdebatten. Wo ist der Ort in der grünen Partei, an dem diese Frage diskutiert wird? Abwarten, bis der Umweltminister keine Lösung hat, reicht nicht aus. Rupert von Plottnitz/

Alexander Müller