Muckis zeigen – Wähler gewinnen

■ Das Ende der Tristesse? Die grüne Führungscrew will ihre Partei aus der Krise führen, indem sie gezielt Zoff mit dem Koalitionspartner SPD sucht

Berlin (taz) – Jetzt ist es endlich raus. Seit Monaten verkneifen sich Antje Radcke und Gunda Röstel ihren Frust darüber, den Job an der Spitze der Grünen Partei untereinander teilen zu müssen. Beim Wein mit Vertrauten stöhnten beide Parteichefinnen über die Doppelspitze, doch kaum gingen die Mikrofone der Reporter an, verstummten sie. Am Wochenende hat Gunda Röstel das Schweigegelübde gebrochen.

„Wer die unseligen Strömungsdebatten beenden will, muss die Doppelspitze abschaffen, damit wir zu einer einheitlichen Führung kommen“, verkündete sie am Samstag via Vorabmeldung des Focus. Die Doppelspitze geht auf das Proporzdenken aus der Zeit von Fundi- und Realo-Flügel zurück, behindert aber in Röstels Augen zunehmend den öffentlichen Auftritt der Regierungspartei. „Ich kenne Gunda Röstels Position“, konterte angesäuert ihre Kollegin Radcke, „es war aber nicht die Rede davon, dass diese Diskussion jetzt wieder über die Medien ausgetragen wird“. Wenige Stunden später rudert Röstel zurück. Auf taz-Nachfrage am Sonntag will sie ihre Äußerung weder wiederholen noch erläutern.

Nichtsdestotrotz beginnt ihre Partei die Woche erneut mit einer Auseinandersetzung, in der grüne Funktionäre sich über graue Organisationsfragen streiten. Dabei zeichnet sich hinter dem Zwist längst neue Einigkeit ab. So groß ist auch bei führenden Köpfen in der Parteizentrale die Verzweiflung über immer verheerendere Wahlergebnisse, dass sie sich auf eine Linie verständigt haben, die den Grünen einen zweiten Frühling in der Koalition bescheren soll. Eine „Strategie des begrenzten Konfliktes“ innerhalb des rot-grünen Bündnisses nennt Gunda Röstel sie gegenüber der taz.

„Es geht darum, in der Koalition mehr grünes Profil zu zeigen“, formuliert diplomatisch der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Cem Özdemir. Röstel wird deutlicher: „Es muss klar sein, dass wir auch bereit sind zu kämpfen.“ Die Strategie zielt auf mehr Distanz zum großen Koalitionspartner SPD. „Das ist ja genau unser Problem“, umreißt Röstel, „wir haben in der letzten Legislaturperiode eine Menge positiver Konzepte erarbeitet, und das ist im Moment etwas im Schatten verschwunden.“ Mit Blick auf die weiteren Jahre von Rot-Grün sei es wichtig, diese Konzepte etwa in den Bereichen Rente und Steuern „wieder hervorzuheben und aufzupolieren“.

Die Konfrontation mit der SPD ist dabei ausdrücklich vorgesehen. Die Grünen müssten sich „rechtzeitig in Debatten einklinken, noch ehe Eckpunkte an die Öffentlichkeit dringen“, fordert Röstel – „und zwar vor allem da, wo wir keine grünen Ministerinnen und Minister haben“. Parteistrategen setzen auf den FDP-Effekt. Während die Westerwelle-Truppe als Oppositionspartei vom Aussterben bedroht ist, war sie in Jahrzehnten als kleiner Koalitionspartner überaus erfolgreich. Stets vermittelte sie ihren Wählern das Gefühl, deren Interessen gegen die Übermacht des großen Partners zu vertreten – erst gegen Schmidts SPD, später gegen Kohls CDU. Dass die FDP-Fraktion in der Sache oft genug den Kürzeren zog, schmälerte die Bewunderung ihrer Anhänger kaum. „Bei uns gibt es zu oft nur die Extreme“, hat Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer beobachtet. Entweder drohen die Grünen mit dem Koalitionsbruch, wie bei einem Scheitern des Atomausstiegs, oder sie fügen sich in vorauseilender Ergebenheit dem Kanzlerwillen. Künftig dürfe man „nicht vermeintliche Kompromisse vorwegnehmen“, findet auch Röstel. Bei ihrer Kollegin Radcke stößt sie mit dieser Linie auf volle Zustimmung. Radcke wünscht sich seit langem ein energischeres Auftreten gegenüber den Sozialdemokraten. Sie weiß warum: Gerade in ihrem Kernanliegen, der Asylpolitik, kann sie sich nur durchsetzen, wenn es die Fraktion zur Konfrontation mit SPD-Innenminister Otto Schily kommen lässt. Patrik Schwarz