Gottsucher im entblößten Weltgetriebe

■ Annäherungen an das Unfassbare: Hubert Kiecols „AHAB“-Drucke in der Kunsthalle

„Obwohl Weiß in der Natur die Schönheit vieler Dinge adelt und erhöht, als teilte es ihnen besondere, ihm innewohnende Reinheit mit, lauert dennoch etwas schemenhaft Unfassbares im tiefsten Sinn dieser Färbung, das die Seele mit panischem Schrecken überfällt, grausiger als die Röte des Blutes“, schreibt Herman Melville in seinem 1851 erschienenen Roman Moby Dick. Besessen von dem Paradox des grausam Schönen, durchpflügt der düstere Kapitän Ahab die Weltmeere nach dem einen legendären weißen Wal – und begibt sich damit auf eine selbstzerstörerische Suche nach Gott.

Dem metaphysischen Weiß hat sich auch der Kölner Künstler Hubert Kiecol verschrieben. Mit dem räumlich inspirierten Ensemble AHAB geht er in der Hamburger Kunsthalle noch bis zum 14. November der alle Farben vereinenden Unfarbe auf den dunklen Grund. Gleißendes Licht illuminiert den sonst in wohliges Dämmern getauchten „Saal der Meisterzeichnungen“. In die acht Wandnischen zwischen den marmorierten Säulen zu beiden Längsseiten des Raumes sind acht großformatige Holzdrucke eingepasst: Tafeln mit nahezu weißer Oberfläche, auf der vielzackige, schwarze Sterne zu rotieren scheinen, und – entgegen ihrer innerbildlichen Begrenzung – ein übergeordnetes Ganzes bilden. Der Raum mutiert zum Skelett, hinter dessen Rippen jäh die unermesslichen Weiten des Weltalls aufklaffen. Haltlos stürzt der Blick in ein grelles Nichts, aus dem ihm mit höhnisch gebleckten Zähnen die entblößte Mechanik eines unfassbaren Weltgetriebes entgegenstarrt.

Eine trügerische Illusion, denn Kiecols eigenwillige Drucktechnik straft die Wahrnehmung Lügen. Die Zackensterne nämlich sind eigentlich die Negativaussparungen einer weißen Farbschicht, die über einer schwarz grundierten Fläche liegt. Ein Verfahren, das nur an der gewollten Überlappung der Randschichten zu entschlüsseln ist. Handelt es sich dann also nicht vielmehr um die spitzzahnigen schwarzen Mäuler eines weißen, gefräßigen Ungeheuers, das alle Materie verschlingt und den Raum leersaugt bis auf ein implodierendes Vakuum, ein absolutes Nichts?

Kiecol selbst meidet eindeutige Interpretationen. Vielmehr gehe es ihm darum, Visionen zu materialisieren und eine Stimmung, einen bestimmten Klang zu erzeugen. Was ihn bedränge, so Kiecol, sei die allumfassende Erklärbarkeit, die sich die Menschheit heutzutage anmaße. „Dabei braucht man nur in den Himmel zu schauen, um zu begreifen, nichts ist erklärt“. Doch wie es scheint, drängt der rasende Ahab in jedem von uns gierig weiter, als lasse sich mit dem letzten Mysterium auch die Vergänglichkeit besiegen. Ulrike Bals

bis 14. November, Kunsthalle