Die CDU hat Angst vor zu vielen Wählern

■  Nach den jüngsten Umfragen könnte die CDU bei der Abgeordnetenhauswahl die absolute Mehrheit erzielen. CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky und Eberhard Diepgen bevorzugen dennoch ein Bündnis mit der SPD

Nach den jüngsten Wahlumfragen beschleicht die CDU offenbar die Angst, die Stadt allein regieren zu müssen. Einer Prognose zufolge könnte die CDU bei der Abgeordnetenhauswahl am 10. Oktober mit 45 Prozent knapp die absolute Mehrheit erreichen. Dennoch erklärte CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky am Wochenende, er ziehe der Großen Koalition einen CDU-Senat nicht vor. Die Stadt brauche keine Polarisierung durch eine Alleinregierung mit knapper Mehrheit, sondern den Konsens. Auch der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen hatte kürzlich in einem Tagesspiegel-Interview eine CDU-Alleinregierung als „nicht weiterführend“ bezeichnet. Angesichts der großen Umbrüche in der Stadt werde ein Bündnis für Berlin gebraucht.

CDU-Sprecher Matthias Wambach erklärte gestern, er halte eine absolute Mehrheit für die CDU für „ausgeschlossen“. Er verwies darauf, dass die Union nur in einer von drei aktuellen Umfragen die absolute Mehrheit erreiche. Laut einer Umfrage der Info GmbH verfehlt die CDU mit 42,2 Prozent die Regierungsmehrheit.

Die beiden an diesem Wochenende veröffentlichten Umfragen weichen auch in anderen Werten von einander ab: Infratest ermittelte für die SPD 21 Prozent. Die Grünen liegen hier nur noch bei zehn Prozent, die PDS legt um einen Prozentpunkt auf 16 Prozent zu. Die Info GmbH prognostiziert der SPD dagegen mit nur 17,3 Prozent einen neuen Tiefstand. Hier liegen die Grünen mit 12,1 Prozent nur knapp unter ihrem Ergebnis von 1995, als sie 13,2 Prozent erzielten. Die PDS kommt laut Info GmbH auf 16,6 Prozent.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Christian Gaebler bewertete die Äußerungen aus der CDU als Zeichen der Angst, allein regieren zu müssen. Die CDU könne die Verantwortung für unbequeme Entscheidungen dann nicht mehr der SPD zuschieben, sagte Gaebler. Es sei absurd, dass eine Partei ihr Konzept nicht allein umsetzen wolle.

SPD-Fraktionsvize Hermann Borghorst bezweifelte, dass die CDU tatsächlich eine absolute Mehrheit erringen könne. Äußerungen von Diepgen, der am Wochenende unter dem Eindruck des Umfragehochs das Innen- und das Schulressort für die CDU beanspruchte, wies Borghorst gestern als „Umverschämtheit“ und „Zumutung“ zurück. Derartige Fragen stünden erst nach der Wahl auf der Tagesordnung. Den Anspruch auf das derzeit SPD-geführte Schulressort hatte Diepgen mit einem „Durcheinander in der Schulpolitik“ begründet. Dem Koalitionspartner hatte Diepgen in der Debatte um den Polizeihaushalt „polizeifeindliche Äußerungen“ vorgeworfen. Auch SPD-Spitzenkandidat Walter Momper wies Diepgens Vorstoß als arrogant zurück.

SPD-Chef Peter Strieder nannte unterdessen Bedingungen für die Fortsetzung einer Großen Koalition. Die CDU müsse nach der Wahl einen Vorschlag für den Landeshaushalt 2000 unterbreiten. Die Aufstellung eines Haushalts war vor kurzem an der CDU gescheitert.

Mit einer kühnen Idee machte indes SPD-Vize Klaus-Uwe Benneter von sich reden. Er schlug vor, die SPD könne nach der Wahl auch ein zeitlich begrenztes Bündnis mit den Christdemokraten eingehen. „Eine Koalition geht man in der Regel für eine Legislaturperiode ein, oder man schließt sie ab, bis bestimmte Aufgaben gelöst sind“, sagte Benneter gestern. SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller erklärte hingegen, solche Überlegungen seien „völlig fehl am Platz“. Sie verwirrten lediglich die Wähler. „Ich glaube nicht, dass ein solcher Vorschlag in der SPD mehrheitsfähig sein wird“, sagte Stadtmüller. Er rechne damit, dass die SPD eine klare Entscheidung für oder gegen eine Fortsetzung der Großen Koalition treffen werde. Dorothee Winden