Oft fehlt es an Mut“

■  Bei rassistischen Übergriffen schauen die Bürger weg, meint Uta Leichsenring, die Polizeipräsidentin von Eberswalde bei Berlin

taz: Ihr Brief mit dem Aufruf zu mehr Zivilcourage ist über Brandenburgs Grenzen hinaus wahrgenommen worden. Was vermissen Sie konkret?

Uta Leichsenring: Zum einem mangelt es generell an Sensibilität gegenüber Gewalt. Oft fehlt es auch schlicht an Mut, sich einzumischen, wenn anderen Menschen Schaden zugefügt wird.

Die Bürger werden Ihnen vermutlich erwidern, dass sie Angst haben ...

Oft handelt es sich aber gar nicht um Situationen, in denen man Angst haben müsste.

Zum Beispiel?

In Prenzlau wurde eine Afrikanerin an einer Bushaltestelle von zwei Jugendlichen verbal und körperlich attackiert, als mehrere Erwachsene danebenstanden. Das ist schlicht Feigheit. Es kann mir niemand erzählen, dass sie mit diesen Jugendlichen nicht fertig geworden wären.

Müssen Ausländer in Brandenburg ein eingeschränktes Leben führen?

Von ihrem subjektiven Gefühl her tun das viele, weil sie immer im Hinterkopf haben, dass sie überfallen oder angepöbelt werden könnten. Es gibt viele, die im Dunklen nicht auf die Straße gehen beziehungsweise bestimmte Plätze und Orte meiden.

Welchen Schutz bietet die Polizei?

Natürlich werden Asylbewerber- oder Aussiedlerheime geschützt. Dass vor jedem Jugendclub und an jeder Bushaltestelle ein Polizist steht, ist aber unrealistisch. Dort finden die meisten Übergriffe statt: im öffentlichen Raum, häufig in Verkehrsmitteln. Da sind wir wieder bei der Zivilcourage: Ich erwarte, dass ein Busfahrer über Funk Hilfe ruft, wenn etwas passiert.

Als Sie 1991 ihr Amt übernahmen, war in Eberswalde quasi unter den Augen der Polizei der Angolaner Amadeu Antonio erschlagen worden. Haben die Bürger daraufhin ihr Verhältnis zum Rechtsextremismus überdacht?

Ja und nein. Der Tod Amadeus und alles, was an öffentlichem Interesse folgte, hatte auch eine massenpsychologische Komponente. Ich hatte bei meiner Amtsübernahme den Eindruck, dass die Eberswalder das Gefühl hatten, mit dem Rücken zur Wand zu stehen und sozusagen in Verteidigungshaltung gegangen sind. Und zwar alle – bis hin zu Polizei und Kommunalpolitikern.

Sie sagen, die Bereitschaft, Konflikte gewalttätig auszutragen, nehme generell zu. Warum?

Wenn man konstatiert, dass die Gewaltbereitschaft im Osten höher ist, liegt es nahe, mit der sozialen Situation zu argumentieren. Es herrscht eine allgemeine Unsicherheit hinsichtlich der Lebensperspektive. Menschen, die nicht am Wohlstand teilhaben, sind immer stärker bereit, sich ihren Teil mit Gewalt zu holen. Gerade jüngere Leute sagen das ganz offen. Moral spielt dabei gar keine Rolle mehr.

Der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer behauptet, die Kinder in der DDR seien auch durch den autoritären Erziehungsstil in Kindergärten zu fremdenfeindlichen Schlägern gemacht worden ...

So pauschal stimmt das nicht. Was mich aber stutzig macht, ist, wie häufig ich Eltern erlebe, die nicht willens oder in der Lage sind, für die Erziehung ihrer Kinder Verantwortung zu übernehmen. Das geht schon auf die staatlich geprägte Erziehung in der DDR zurück.

Interview: Jeannette Goddar