■ H.G. Hollein
: Siechenhaus

Die Frau, mit der ich lebe, schwächelt bisweilen. Die Wände unserer Wohnung auch. Letztere entledigten sich mit verdächtiger Promptheit am Neujahrsmorgen der Last eines Bücherregals, ers-tere hatte sich am Tag zuvor mit einer Magenschleimhautentzündung ins Bett gelegt. Und als sei das noch nicht genug, schlurfte auch noch die Schwester der Gefährtin mit rasselnden Bronchien und triefender Nase durch unsere gastlichen Hallen. Immerhin hatte sich beider Mutter nach einer leichten Erkältung über die Weihnachtstage so weit erholt, dass sie unsere Wasserrechnung mit der hektoliterweisen Zubereitung von Kamillentees und dem unermüdlichen Abfüllen von Wärmflaschen in bisher unbekannte Höhen treiben konnte. So hatte ich denn einen überaus angeregten, um nicht zu sagen ausgelassenen Silvesterabend. Derweil die Schwestern schlotternd und bleich an ihren Tees nuckelten, sinnierte die Mutter über den Ablauf der Pacht für die Ruhestätte ihres lange verstorbenen Gatten. Als ich zu bedenken gab, dass sich angesichts des moribunden Zustands ihrer Töchter eine Erneuerung und Erweiterung des Familiengrabes als durchaus weitbli-ckende Maßnahme erweisen könne, wurde die Stimmung endgültig frostig. Manche Leute haben eben keinen Humor. Die Mama beschied dann ihren Töchtern – beide gut in den Vierzigern –, dass heute aber mal früh ins Bett gegangen werde, und so trank ich die beiden Flaschen Champagner eben allein aus. Möglicherweise drang deshalb das Getöse der herabstürzenden Regale am nächsten Morgen nicht so recht zu mir durch. Jedenfalls ließ mich der dreifache Chor aus aufgeregten, wenn auch zum Teil heiseren „Tu was, tu was“-Rufen kalt. So eine Bücherlawine an der Wand hat schließlich auch was Dekoratives. Jedenfalls kann mich in diesem Jahr so schnell nichts mehr erschüttern.