Ösis fallen vom Himmel

Warum die österreichischen Skispringer zum Abschluss der Vierschanzentournee nur noch von Ventilatoren gerettet werden können und die Vögel jeglichen Respekt vor ihnen verloren haben

aus Wien MARKUS VÖLKER

Die Vögel im alpenländischen Raum können sich wieder ihrer eigentlichen Bestimmung widmen: dem Fliegen. Nachdem die Bild-Zeitung beobachtet haben wollte, Krähen, Spatzen und anderes Geflügel würden sich in Erwartung der Leistungen von Martin „Überflieger“ Schmitt und Andreas „Swider“ Widhölzl nur noch antichambrierend verneigen, weiß der Zaunkönig nun wieder: Er kann es besser.

Besonders drastisch wurden die österreichischen Skispringer von der Schwerkraft heimgesucht. Im Moment zieht es die Schützlinge von Trainer Alois Lipburger nach dem Absprung vom Schanzentisch bleischwer in die Tiefe. Vor Jahresfrist jubelten die Alpenländer noch über Andreas Widhölzl, der die Vierschanzentournee mit Leichtigkeit gewann. Nur fünf österreichische Skispringer schafften dies vor ihm. Im heurigen Verlauf der Tournee fällt Lipburger auf dem Observationsgerüsterl regelmäßig das Gesicht herunter, wenn er Andreas „Goldi“ Goldberger zu spät am Tisch sieht, Martin „Hölli“ Höllwarth nach einer Halbzeitführung in Oberstdorf dann im Schnee den Hang herunterkachelt, Wolfgang „Wolfi“ Loitzl sich verkrampft durch die Luft windet und Widhölzl wie vom Blitz getroffen aus dem Himmel fällt.

Vor dem Abschlussspringen in Bischofshofen am heutigen Samstag haben die Österreicher das Abschneiden von Innsbruck zu verarbeiten, genauer: die Plätze 13, 15, 16, 17, 19, 27, 29. Die Ösis sind im tiefsten Mittelmaß gelandet. In Tirol, das so stolz auf Andreas Hofer ist, der 1806 den Franzosen übel mitspielte, worin unter anderem das Selbstbewusstsein von DJ Ötzi („I bin so schön, I bin so doll ...“) gründet, ist das schlimm. Vor allem wenn die mittlerweile auch nur noch mediokren Deutschen besser sind. Was also tun?

Der Sportdirektor des Österreichischen Skiverbands hatte eine Idee. Toni Innauer ist der Mastermind der Nordischen im Nachbarland, Vordenker und Philosoph. Als solcher schoss ihm nach der augenscheinlichen Windanfälligkeit der Innsbrucker Skisprunganlage folgender Gedanke ein: Ventilatoren müssen her. Damit’s ein Ende hat mit der Windlotterie und den Glückssprüngen. Ein paar Gebläse im Tal postiert, und konstant mir vier Meter pro Sekunde windend, brächten gleiche Bedingungen für alle, da die künstlichen die natürlichen Winde neutralisierten. Ganz so einfach ist es freilich nicht, weshalb die alte Schanze am Bergisel mit einer Summe von 21 Millionen Mark modernisiert wird.

Im Laufe der Vierschanzentournee wurde klar: Der Wind ist ein teuflisches Balg. Macht, was es will. Das Enfant terrible bläst einfach von hinten an die Springer heran, liefert so aber wenigstens reichlich Erklärungsstoff für den Fall, dass unter den Latten zu schnell wieder Schnee, also Boden ist.

Die Österreicher versuchen jedoch – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – ehrlich zu sein. „Klar, war’s unfair, aber irregulär war’s nicht“, sagte Stefan Horngacher in Innsbruck, „es handelt sich halt um eine Freiluft-Sportart. Da kommt so was leider ab und zu vor.“

Trainer Lipburger erkannte von seinem Hochstand aus: „Stockerlhupfer sind dünn gesät.“ Was meint: Aufs Siegerpodest steigen derzeit immer andere. Lipburger möchte die Leistungsträger nun „mehr forcieren“. Bis Mitte Februar zur Weltmeisterschaft in Lahti bleiben sechs Wochen Zeit, für Lipburger immerhin eine „ganze Ära“. Das heutige Springen in Bischofshofen hat er offenbar schon abgeschrieben. Er will danach eine „kompaktere Gruppe“ formen, das „jeweilige Potenzial neu ausloten“ und „jedem klarmachen, dass er ein Hoffnungsträger“ ist. Denn: „Der Mentalfaktor ist essenziell!“

Die Ösis sind hinten. Vor der Tournee trainierten sie zu viel. Beim Material tüftelte man an der optimalen Abstimmung. Entnervt startete Höllwart sogar mit seinen alten, nicht taillierten Ski. Spezielles Individualtraining soll in Zukunft Weite bringen. Es wird aufwärts gehen – mit den Winden, mit den Österreichern. Innauer sagt: „Die Mannschaft ist deutlich besser, als sie es jetzt zeigt.“

Die Stimmung von Widhölzl soll schon wieder deutlich besser sein. Bei der Wahl um die Goldene Teekanne des beliebtesten österreichischen Wintersportlers (Kategorie: Nordische) liegt er vorn. Die Goldene Ananas ist seinem Team eh schon sicher.