„Wir sind unser eigener Planet“

Harald Schmidt will weiter an die Grenzen gehen und noch 30 Jahre lang den Freddy Mercury machen. Bis auf die Gefahr hin, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Seine Motivation sind Bohlen, Becker, Beckenbauer, „Bild“ und – „Sex mit mir selbst“

Millionäre sind groß angesagt im deutschen Fernsehen. Harald Schmidt trägt sogar ein „Multi“ vor dem Titel. Anlass genug, mit ihm darüber und noch so einiges zu plaudern.

taz: Herr Schmidt, Sie hassen es, wenn Journalisten bei Ihren Interviews schlecht vorbereitet sind ...

Harald Schmidt: Mmmh.

Wir haben uns gar nicht vorbereitet ...

Das habe ich nicht anders erwartet. Andererseits ist das auch wurscht, denn dann schreiben Sie schon das, was ich sage, weil Ihnen selber nichts einfällt.

Klasse. Dann fangen wir gleich mal total kritisch an. Das Tollste, was wir je von Ihnen gesehen haben war, als Sie damals „Somebody to Love“ von Queen gesungen haben.

Ja.

Wir waren absolut begeistert, fanden es unglaublich witzig und waren fassungslos, wie Sie sich an ein solches Lied überhaupt heranwagen konnten.

Das sind jetzt lauter Aussagen. Kommt noch eine Frage?

Nö.

Ich war auch begeistert von mir. Ich bin ja ein ähnlicher Typ sowohl wie Freddy Mercury als auch wie George Michael, von der Ausstrahlung her. Von daher war das für mich keine Frage, dass ich das schaffe.

Genau.

Ich habe das fünf Wochen lang geübt wie ein Kranker. Ich bin auf die Idee gekommen, als ich George Michael bei der Gala zum Tod von Freddy Mercury gesehen habe. Da hat er das Lied zum ersten Mal mit Queen gesungen. Vorher war mir das Lied nicht so präsent. Da dachte ich: Das ist eigentlich eine Supersummer. Die wollte ich dann unbedingt mal machen.

Sie sind damals in einem hautengen Leder-Strampelanzug aufgetreten. Irre.

Hat Sie das scharf gemacht?

Nee, aber war das Ganze für Sie eine Provokation?

Nein, man muss einfach manchmal an seine Grenze gehen. Bis auf die Gefahr hin, sich der Lächerlichkeit preiszugeben.

Sie gehen häufiger an die Grenze. Aber Ihren Zynismus haben Sie zurückgenommen.

Zynismus ist mittlerweile ja so was von inflationär. Viele Leute bezeichnen sich als zynisch, die es gar nicht sind. Ich beobachte in der Comedy-Szene einen Gebrauchszynismus, der nicht ideologisch unterfüttert ist.

Die Ingo-Appelt-Variante.

Wobei der in der Richtung noch eher zu den Guten gehört. Da gibt es wesentlich Härteres, was schon handwerklich nicht funktioniert. Vor zwei Jahren habe ich zum ersten Mal erkannt, dass wir uns in eine andere Richtung entwickeln müssen. Wir wollen das Ganze ja noch ein paar Jahre machen.

Wie haben Sie sich in diesen zwei Jahren verändert?

Ich bin entspannter.

Haben Sie keine Angst vor einem Live-Absturz?

Nein, nie. Wie soll ich das nach fünf Jahren noch haben?

Kann doch jeden Tag passieren ...

Das kann Ihnen auch passieren, wenn Sie Elektriker sind. Das ist ganz normales Berufsrisko.

Stimmt es noch, dass Sie das Ende Ihrer Show selbst inszenieren wollen?

Ich glaube nicht, dass mein Ende abrupt kommen wird, sondern eher schleichend. So eine Art Verfall, den man selber gar nicht merkt. Das kann man bei vielen Leuten, die in der Öffentlichkeit stehen, beobachten.

Wie kann das passieren?

Das Geheimnis eines Late-Night-Moderators ist, dass er eine gewisse Normalität hat. Alles andere verbrennt sich. Ich sage zu meiner Show: „Die fröhlichen Tagesthemen“. Wenn man permanent am Limit segelt, ist das irgendwann vorbei. Nach dreißig Jahren ist das Limit eben woanders.

Die Comedy-Welle rauscht doch jetzt schon aus.

Das sehe ich auch so. Ich gebe dem Ganzen noch zwei Jahre, dann ist das abgehakt.

Davon sind auch Sie selbst betroffen.

Nein, das denke ich nicht. Ich habe das zwar mit ein paar anderen zusammen ausgelöst. Aber auch ich komme ja irgendwo von Otto her oder von Gerhard Polt, Hanns-Dieter Hüsch und Dieter Hildebrandt. Doch mit der Entstehung von „Schmidteinander“ im Fernsehen fing ja auch RTL-Samstagnacht an. Dann rauschte diese Comedywelle los. Ich habe die beobachtet und gesagt: Damit habe ich nichts zu tun. Da treten sehr viele talentfreie Menschen mit irgendwelchen Perücken auf und erzählen zwei, drei Witzchen, über die wir schon vor zehn Jahren nicht gelacht haben. Da muss ich mich abgrenzen.

Verdammt. Jetzt fällt uns gerade keine Frage mehr ein.

Hähä. Das genieße ich.

Wenn Sie einen so anschauen, sehen Sie eiskalt aus. Gott sei Dank sind wir nicht in Ihrer Sendung.

Hehe. (Ein Mitarbeiter kommt und macht sich an Schmidts teurem schwarzen Anzug mit einem Mikrofon zu schaffen.)

Toller Anzug. Brioni?

Ich würd’s Ihnen wahnsinnig gern sagen, aber wir im englischen Hochadel haben eine eiserne Regel: Wir sprechen nicht über den Schneider.

Als Sie den Satz „Harald, der Hubschrauber steht bereit“ gehört haben, wussten Sie, dass Sie es geschafft hatten, jetzt sind Sie Millionär.

Multimillionär.

’tschuldigung. Wir wollten Ihnen nicht zu nahe treten.

Ich lass mich hier doch nicht runtermachen als irgend so ein Kleinverdiener.

Sie wollen der deutsche Johnny Carson werden.

Klar, jeder will dahin: zum Limit. Wenn man Fußball spielt, will man der neue Figo werden.

Wer ist Ihr legitimer Nachfolger? Stefan Raab?

Bei Raab muss man sehen, wie sich das entwickelt. Er macht das zwei, drei Mal die Woche, ich täglich. Aber natürlich wird etwas anderes kommen, wenn es uns nicht mehr geben sollte. Momentan jedoch sind wir unser eigener Planet und relativ unberührt von dem, was um uns herum stattfindet.

Liegt das daran, dass kein anderer Unterhalter Ihre Intellektualität hat?

Es ist schön, dass Sie das sagen. Aber ich bin zu bescheiden, um darauf zu antworten.

Keiner käme auf die Idee, über eine Fuge bei Bach zu referieren oder lange Elaborate über Kants philosophische Traktate abzulassen. Vielleicht, weil sich von Ihren Kollegen keiner dafür interessiert?

Das kann sein.

Worin liegt ihre Motivation für die nächsten Jahre?

Es ist der Spaß an der Sache. Ich habe ein tolles Studio, das nach meinen Vorstellungen renoviert wurde. Ich habe ein handverlesenes Team von 80 Leuten. Außerdem kommen wir zur Zeit aus dem Feiern nicht mehr heraus. Ich sage nur: Bohlen, Becker, Beckenbauer. Daum dazwischen. Roberto Blanco haben wir schon gar nicht mehr thematisiert. Das wären früher zwei Tage gewesen. Das macht unglaublich Spaß, wenn Sie morgens am Kiosk vorbeigehen und sehen: „Franz Beckenbauer – Baby von Sekretärin“. Das ist bombastisch.

Die Funkuhr schreibt, ihre Zuschauerzahl sei unter eine Million gesunken.

Sie wissen hoffentlich die Quelle zu würdigen. Egal wie, wichtig ist nur eines: Wir haben einen Schnitt von 16 Prozent in der Zielgruppe. Das Einzige, das wirklich zählt, ist: Wie viele Zuschauer aus der Zielgruppe bleiben während der Werbeblöcke dran? Der Chef-Werbeverkäufer von Sat.1 hat uns gesagt, bei uns sei alles in der Win-win-Zone.

Dann wäre es doch ideal, wenn Sie noch mehr in den Werbeblöcken auftauchen würden.

Das habe ich in letzter Zeit sehr reduziert und nur noch T-Online und Premiere World gemacht. Das meiste mach ich gar nicht. Es ist mir auch zu anstrengend.

Für was würden Sie auf gar keinen Fall werben?

Das kann ich so nicht sagen. Für mich ist entscheidend: Es muss eine große Firma sein und ich muss es irgendwie vertreten können.

Würden Sie für eine Partei Werbung machen?

Nein, politisch muss man sich als Moderator neutral verhalten.

Sie haben aber mal eine SPD-Veranstaltung moderiert.

Das ist schon lange her. Es war nach dem Attentat auf Lafontaine und fand in der Dortmunder Westfalenhalle statt. Die Größe der Halle hat mich fasziniert.

Da haben Sie den Ersatz-Goebbels gespielt.

Ersatz-Goebbels würde ich nicht sagen. Aber es war für mich nachvollziehbar, wie ein Sportpalast funktioniert.

Wie war das Gefühl?

Fantastisch. Absolut erotisch.

Sex mit der Masse.

Nee, Sex ohne die Masse. Sex mit sich selber und die Masse guckt zu. Weil: Sex mit der Masse find ich widerlich. Aber Sex mit sich selbst unter dem Jubel der Masse: Das ist eigentlich das Ziel.

INTERVIEW: WOLFGANG
MESSNER, ALEXANDER KÜHN