Der Chefkonstrukteur

Größer, schneller, effektiver: In Kurt Prüfer, dem Chefkonstrukteur des Erfurter Krematoriumsbauers „Topf & Söhne“, hatte die SS ihren Lehrmeister gefunden. Was 1940 mit dem Auftrag zur Errichtung eines Notkrematoriums aufgrund der hohen Sterblichkeit im KZ Auschwitz begann, führte sehr schnell zu Massenverbrennungsanlagen für bis zu dreitausend Leichen am Tag.

Der Bau eines riesigen Kriegsgefangenenlagers in Auschwitz-Birkenau war im Oktober 1941 kaum beschlossen, da schlug Prüfer die Errichtung eines großen Krematoriums mit fünf Dreikammeröfen vor – eine noch in der Entwicklung befindliche Technologie zur Einäscherung von bis zu 1.440 Leichen pro Tag. „Angesichts einer Sterblichkeit von täglich einem Prozent in den Lagern mit bis zu 125.000 sowjetischen Kriegsgefangenen durchaus eine realistische, jedoch eigentlich unfassbare Größenordnung“, sagt der Wirtschaftshistoriker Christian Gerlach.

Im besetzten weißrussischen Mogilew sollte Prüfer Ende 1941 ein Krematorium mit vier holzbeheizten Achtkammeröfen, ausgelegt für die doppelte Menge Leichen, errichten. Die dafür vorgesehenen Öfen konzipierte Prüfer in seiner Freizeit. Obwohl das Mogilew-Projekt scheiterte, blieb der Erfurter Konstrukteur nicht auf seinen Plänen sitzen: Zur Beschleunigung des Ausbaus der Auschwitz-Krematorien schlug er 1942 statt zweier neuer Dreikammeröfen die Verwendung von zwei Achtkammeröfen aus dem Mogilew-Auftrag vor – die Nähe zu den „Badeanstalten für Sonderaktionen“, also den Gaskammern der Bunker I und II, war ihm dabei wohl bewusst.

Dennoch reichten schon im Herbst 1942 die Kapazitäten der Einäscherungsanlagen nicht mehr aus – Schornsteinbauer beobachteten bei Reparaturarbeiten permanente Leichenverbrennungen unter freiem Himmel. Wegen Überlastung mussten Krematorien sogar wieder stillgelegt werden. Waren 1942 175.000 Juden nach Auschwitz deportiert worden, wuchs die Zahl 1943 auf 250.000 und zwischen März und Oktober 1944 wegen der Vernichtung der ungarischen Juden sogar auf fünfhunderttausend Menschen, von denen die Mehrzahl im Gas ermordet wurde.

Doch weder die oftmals schlechte Qualität der Topf-Installationen, noch die mangelhafte Zahlungsmoral der SS trübten die Geschäftsbeziehungen: Im Februar 1943 schlug Prüfer der Zentralbauleitung vor, warme Abluft in den „Leichenkeller I“ des Krematoriums II zu leiten. Da es kaum sinnvoll ist, einen Leichenkeller zu beheizen, muss er gewusst haben, dass es sich in Wirklichkeit um eine Gaskammer handelte – denn Zyklon B geht erst ab 25,7 Grad Celsius in den gasförmigen Zustand über.

Über Prüfers Motivation indes schweigen die Quellen. Der finanzielle Anreiz dürfte nicht ausschlaggebend gewesen sein: Prüfer strich mit den von ihm realisierten Aufträgen gerademal 2 Prozent vom Gewinn ein – insgesamt zweitausend Reichsmark. Er wurde 1948 von den Sowjets zu 25 Jahren Haft verurteilt. Kurz vor seiner geplanten Freilassung 1955 starb er.

Weiter führende Informationen in Jean-Claude Pressac: „Die Krematorien von Auschwitz. Die Technik des Massenmordes“ (1994 bei Piper erschienen, inzwischen vergriffen) und im Internet unter www.topf-holocaust.de.

JÖRG VÖLKERLING