Die Mithelfer

Der Erfurter Ofenhersteller „Topf & Söhne“ hat sich mit seinen Krematorien für Auschwitz, Buchenwald, Dachau und Mauthausen mitschuldig gemacht. Nun will des Urenkel des Firmeneigners auf dem Gelände einen Erinnerungsort einrichten. Die offiziellen Stellen geben sich desinteressiert

von JÖRG VÖLKERLING

Für die SS war er der „Hexenmeister der Verbrennung“. Für seine Firma, die Erfurter Mälzerei- und Ofenfabrik „J. A. Topf & Söhne“, war er der geniale Chefkonstrukteur mit besten Kontakten bis in höchste NS-Kreise. Kurt Prüfers Verdienst: Er ersann Verbrennungsanlagen, in denen massenhaft Leichen „beseitigt“ werden konnten. Krematorien mit einer Leistung von bis zu dreitausend Leichen pro Tag – gerade genug, um der hohen Mortalität in den Konzentrationslagern Auschwitz, Buchenwald, Dachau und Mauthausen Herr zu werden.

„Topf & Söhne“ produzierte nach Prüfers Entwürfen die vom SS-Hauptamt Haushalt und Bauten bestellten Einäscherungsanlagen. Elfmal hielt er sich ab 1940 allein in Auschwitz auf, seine Monteure verbrachten bis zu zwölf Monate in den Lagern. Wirtschaftlich waren die Firmeninhaber, die Brüder Ernst-Wolfgang und Ludwig Topf, nicht von diesen Aufträgen abhängig. Die während aller Kriegsjahre mit Krematorien erwirtschafteten 350.000 Reichsmark nehmen sich gegenüber jährlich drei Millionen Goldmark Umsatz mit industriellen Feuerungsanlagen für Brauereien und Elektrizitätswerke geradezu lächerlich aus.

Sein Name hat dem Berliner Journalisten Hartmut Topf nicht erst zu schaffen gemacht, als er das erste Mal im Buchenwalder Krematorium stand und das Firmensignet am Feuerungsschacht entdeckte. Warum, fragt sich der heute 66-jährige Urenkel von Ludwig Topf, haben sich seine Vorfahren zum Mithelfer bei der Vernichtung von Menschen gemacht?

1994 hatte das Schweigen ein Ende. Die Firma, in der DDR in „VEB Erfurter Mälzerei- und Speicherbau“ umbenannt, musste Konkurs anmelden. Eine entfernte Verwandte machte Erbansprüche auf die Familienvilla und das Firmengelände am Sorbenweg, das im Besitz der Sparkasse Pforzheim ist, geltend. Hartmut Topf dagegen äußerte moralische Bedenken und wies die Forderungen öffentlich als „Posse“ zurück.

Er ahnte noch nicht, welche Possenspiele erst seine Bemühungen, die Firmengeschichte gemeinsam mit Heinrich-Böll-Stiftung, DGB-Bildungswerk und Evangelischer Akademie Thüringen aufzuarbeiten, nach sich ziehen würden. Einen Erinnerungsort für die Opfer des Lagerterrors will Hartmut Topf schaffen, die Geschichte des ganz alltäglichen Holocaust erzählen – mitten in der Thüringer Landeshauptstadt. Die Verwaltung ist nicht gerade begeistert: Offiziell gibt es lediglich die mehr als vage Aussage des Stadtoberhauptes Manfred Ruge (CDU), prinzipiell sei es nicht undenkbar, „an dem Ort irgendein Zeichen zu setzen“.

Zur Gestaltung eines solchen Erinnerungsortes hat eine Initiative des Europäischen Kulturzentrums unter dem Titel „Topf und Söhne – Holocaust und Moderne“ während einer Veranstaltungsreihe in der Kleinen Synagoge Erfurt konkrete Vorschläge gemacht. Zentraler Punkt ist das bauhausgeprägte und inzwischen schon baufällige Verwaltungsgebäude. Im dritten Stock befinden sich die Zeichensäle, in denen auch die Krematorien für Auschwitz und Buchenwald entworfen wurden. Wer hier arbeitete, der wusste, was er tat. Vom Fenster hat man den Ettersberg und damit Buchenwald gut im Blick. Die Schreibtischtäter hatten ihr Werk täglich vor Augen. Nach vorne blickt man zum Bahnhof, von dem die Juden deportiert wurden, links liegt die Stadt, deren Einwohner wie so viele damals von nichts gewusst haben wollten.

Ein „Stachel“ soll das Mahnmal sein, bloß kein „Kranzabwurfort“, sagt Hartmut Topf. Es soll Fragen stellen, zum Beispiel nach Ursachen der Mittäterschaft. Rechtfertigt die Furcht vor Arbeitslosigkeit auch Gewissenlosigkeit? Die Familien- und Firmenchronik gibt Topf keine Antwort, im Gegenteil. Der Journalist stößt auf Widersprüche. Zum Beispiel auf jenen 1939 verfassten Brief von Ludwig Topf, in dem er sich recht unzweideutig zu den Machthabern im Dritten Reich äußert. Er schreibt von einer Zwingherrschaft, von widerlicher Selbstbeweihräucherung, dem Gesinnungsterror einer Clique und ruft schließlich „für Frieden, Freiheit und Recht“ zum Bekenntnis zu einer „Deutschen Freiheitspartei“ auf.

Ende April 1933 waren die Gebrüder Topf in die NSDAP eingetreten, zu einem Zeitpunkt also, als viele aus purem Opportunismus gleiches taten. Mag sein, dass sich der mit Erich Kästner befreundete Ludwig nach Ende des Krieges missverstanden fühlte. Hartmut Topf hat nach Erklärungen gesucht – er stieß auf ein Geflecht aus Verstrickung und Distanz, kurz Schuld genannt. Musste es den mittelständischen Betrieben zu Kriegsbeginn 1939 nicht darum gehen, ihre Produktion als „kriegswichtig“ anerkennen zu lassen, um einer Schließung zu entgehen? Wäre es denkbar, dass man sich von guten Beziehungen zur SS Vorteile für das Unternehmen versprach? Hat gar die Verschonung Ludwig Topfs vom Kriegsdienst etwas mit der engen Verbindung zur Zentralbauleitung für Auschwitz zu tun? Aus Furcht vor Repressalien der neuen Machthaber nahm sich Ludwig Topf in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1945 das Leben. „An seine Unschuld und die des Bruders Ernst-Wolfgang glaubte er bis zum Schluss“, sagt Hartmut Topf heute. Wie soll er aber Hinweise darauf deuten, dass ebendieser Ernst-Wolfgang Topf eine Gruppe kommunistischer Widerständler in seinem Betrieb deckte? „Wurden sie doch von der SS erpresst?“

Zumindest spricht der Historiker Eckhard Schwarzenberger, dem die Aufarbeitung der Geschichte von „Topf & Söhne“ im Rahmen eines ABM-Projektes übertragen wurde, von der „unangenehmen und folgenreichen Erkenntnis, dass der Holocaust keineswegs einen Zivilisationsbruch darstellt“. Wie zur Bestätigung zeigen Unterlagen, die der französische Historiker Jean-Claude Pressac in seinem Buch „Die Krematorien von Auschwitz“ veröffentlichte, dass Chefingenieur Prüfer sogar noch Vorschläge zur Optimierung der Verbrennungsöfen machte – die Umsetzung erfolgte prompt.

Wie aktuell das Anliegen der Erfurter Initiative ist, macht gerade die hohe Zahl der im Dritten Reich von den Topf-Brüdern beschäftigten Zwangsarbeiter deutlich: Ihr Anteil lag bei vierzig Prozent. Doch während man bei der Evangelischen Akademie schon einmal vorsichtig vom „Topf & Söhne“-Gelände als einem besonders beziehungsreichen Ort für den Sitz der Stiftung zur Entschädigung der Zwangsarbeiter sprach, fragte man beim Land, ob es nicht überlegenswert sei, das Hauptgebäude zu zerschreddern wie die Gestapo-Baracke im Innenhof des Weimarer Marstalls.

Inzwischen gibt es aus dem Kulturministerium zarte Signale, dass man einem Förderantrag aufgeschlossen gegenüberstehe, das Kultusministerium will bei der Bildungsarbeit vermitteln, und die Landesentwicklungsgesellschaft steht zur Vermittlung mit den Treuhändern des Geländes bereit. Nur drei Prozent dieses Areals würden für die Umsetzung künstlerischer Projekte genügen. Ein Ideenwettbewerb kostet die Stadt nicht mehr als das Porto. Doch obwohl die Ämter Instrumente haben, auf das Gelände Einfluss zu nehmen, herrscht Funkstille: Oberbürgermeister Ruge war nicht einmal gewillt, den Eingang der Einladungen zur Diskussion zu bestätigen.

Dass ein Investor nicht gerade freiwillig eine Topf-Gedenkstätte zum Teil seiner Unternehmenskommunikation machen würde, erscheint allen Beteiligten klar. Deshalb ist neben der Stadt auch das Land gefordert, „neben Wartburg und Goethehaus eine ganze Kette authentischer Orte“ in Thüringen zu schaffen, wie Udo Scheer von der Jenaer Geschichtswerkstatt mahnt. Synagoge, Topf-Gelände und der Glockenturm von Buchenwald beschreiben ein erschreckend authentisches Spannungsfeld. Man muss nur ans Fenster treten, um es zu begreifen.

JÖRG VÖLKERLING, 22, lebt als freier Journalist in Jena. Seine Spezialgebiete: Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft