Damals Juden, heute Ausländer

■ Heute ist Holocaust-Gedenktag. Steffi und Kurt Wittenberg flohen vor den Nazis ins Exil. Jetzt fordern sie ein Verbot rechter Demonstrationen

taz: Sie haben als Kinder Aufmärsche der Hitler-Jugend miterlebt, ehe sie nach Uruguay flohen. In Hamburg gibt es wieder regelmäßig Demonstrationen von RechtsextremistInnen. Gehen Sie zu den Gegenkundgebungen?

Steffi Wittenberg: Aus gesundheitlichen Gründen halten wir uns zurück. Wir scheuen uns aber nicht, uns mit Worten dagegen zu stellen.

Kurt Wittenberg: Alter hin oder her – wir sind militant geblieben.

Steffi Wittenberg: Es ist empörend, wie die Demonstrationen ablaufen: Die Polizei schützt die Nazis. Da würde ich gerne hingehen und mich physisch einbringen.

Wer das tut, gilt als Chaot.

Steffi Wittenberg: Die Gegendemonstranten werden als Gewalttäter verteufelt. Dabei haben sie edle Motive. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man rechte Demonstrationen nur erlaubt, um die linke Szene vorführen zu können.

Sollte man rechte Aufmärsche verbieten?

Steffi Wittenberg: Ja. Bei politischen Demonstrationen gibt es menschenwürdige und menschenfeindliche Ziele. Meine These ist: Wenn unsere Verfassung menschenfeindlichen Nazis die Meinungsfreiheit garantiert, ist unsere Verfassung nicht in Ordnung.

Sehen Sie die Gefahr, dass sich repressive Mittel wie Demonstrationsverbote letztendlich auch gegen Linke richten könnten?

Kurt Wittenberg: Die Gefahr besteht, weil Rechts- und Linksextremismus ständig gleichgesetzt werden. Das ist schlimm. Wenn Sie Rechten verbieten, durch das Brandenburger Tor zu marschieren, haben Sie noch lange nicht das Recht, das auch Linken zu verbieten.

Sie sind in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten“ aktiv und sprechen oft mit Schülern über die Zeit des Nationalsozialismus. Stoßen Sie da auf Interesse?

Kurt Wittenberg: Die Kinder sind in der Regel interessiert, weil wir erzählen, wie wir früher die Schulen verlassen und auf rein jüdische wechseln mussten. Wenn viele ausländische Schüler da sind, ist es leichter, weil sich da die Parallelen aufdrängen: Früher die Diskriminierung der jüdischen Kinder, heute die der ausländischen Kinder.

Steffi Wittenberg: Und das Asyl, das wir erlebt haben. Auch das kennen viele ausländische Kinder selbst.

In der Diskussion über Rechtsextremismus ist die Asylpolitik aber kaum ein Thema.

Steffi Wittenberg: In den Schulen sprechen wir es immer an. Unser Leben ist gerettet worden, weil Uruguay uns aufgenommen hat. Deshalb ist es mir ein Anliegen, dass Menschen, die politisch verfolgt werden, Asyl bekommen.

Das Wort Asyl ist mittlerweile in Deutschland negativ besetzt.

Steffi Wittenberg: Es ist schändlich, was heute daraus geworden ist. Vor 15 Jahren noch hatte man mehr Verständnis dafür. Heute fehlt der Bevölkerung die Akzeptanz der Ausländer. Heute fühlen die Menschen nicht mehr die Verantwortung, gerade die deutsche Verantwortung. Stattdessen berufen wir uns auf Europa. Außerdem gab es früher noch ein schlechtes Gewissen. Heute nicht mehr, der Nationalsozialismus ist zu lange her.

Kurt Wittenberg: Das Erschreckende ist, dass Ausländer und Juden nicht als Teil der Gesellschaft angesehen werden. Wenn die Leute erfahren, dass jemand Jude ist, müsste es eigentlich heißen: „Na und?“ Aber dieses „Na und“ hört man nie.

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat im Sommer den „Aufstand der Anständigen“ ausgerufen. Hoffen Sie darauf auch?

Steffi Wittenberg: Michel Friedmann hat das den „Aufstand der Zuständigen“ genannt, und das finde ich richtig. Die Regierung und auch die Gerichte sind jetzt gefragt. Rechte Demonstrationen müssen verboten werden. Das Verbot der NPD finde ich richtig, aber es reicht nicht aus. Es muss Geld für antifaschistische Erziehung ausgegeben werden. Hamburg tut schon einiges. Aber es reicht noch nicht.

Wie erklären Sie sich, dass sich alle gegen rassistische Gewalt aussprechen und die staatliche Flüchtlingspolitik ausgespart bleibt?

Steffi Wittenberg: Staatsgewalt, egal wofür sie sich einsetzt, wird immer akzeptiert. Aber es gibt ein Recht auf Widerstand in der Verfassung. Bei staatlichem Machtmissbrauch. Der liegt vor, wenn Menschen eingesperrt werden, weil sie illegal im Land sind.

Kurt Wittenberg: Oder abgeschoben werden, obwohl sie dann eingesperrt und gefoltert werden.

Warum wird so wenig Widerstand dagegen geleistet?

Steffi Wittenberg: Die Menschen interessieren sich kaum mehr für andere. Sie nehmen nur noch Anteil, wenn Boris Becker sich von seiner Frau trennt.

Interview: Elke Spanner