In der Erinnerungsschleife

Obwohl sie bei der Weltmeisterschaft in Frankreich bislang erfolgreich vom Sydney-Trauma ablenken konnten, beschleicht die deutschen Handballer die Angst vor der Wiederkehr des Verdrängten

aus Besançon ANKE BARNKOTHE

Nach dem Spiel meinte Christian Schwarzer: „Das sagt doch einiges, dass die Kroaten mit ihrer Abwehr unzufrieden sind und zwei-, dreimal das System ändern müssen, um sich auf uns einzustellen.“ Schwarzer, mit 31 Jahren und 205 Länderspielen erfahrenster Spieler, nimmt die Anerkennung gern entgegen, die Josip Milkovic, seit knapp einem Jahr Nationaltrainer Kroatiens und in den Achtzigern auch Trainer in der Handball-Bundesliga, dem neuen deutschen Team nach dem 23:23 zollt.

Dennoch hat man das Gefühl, Schwarzer, der in der Liga beim FC Barcelona sein Geld verdient, müsse sich selbst ein wenig zureden, um das Unentschieden im dritten Vorrundenspiel seines Teams bei der Handball-WM in Frankreich als Erfolg zu werten. In der Tat war im mit 3.700 Zuschauern gefüllten „Palace des Sport“ am Donnerstagabend mehr drin. Denn als Spielmacher Markus Bauer in der 41. Minute mit einem Siebenmeter zum 20:14 die stärkste deutsche Spielphase abrunden wollte (Halbzeit 13:12), da sah die Mannschaft von Heiner Brand bereits wie der sichere Sieger aus.

Brand sagt gelassen: „Wenn die einzige Negativaussage, die wir nach dem Turnier über diese Mannschaft treffen können, ihre mangelnde Konstanz ist, dann sind wir schon einen großen Schritt vorangekommen“, so Brand. „Wir haben heute die starken Kroaten 50 Minuten lang dominiert, damit muss man zufrieden sein.“

Auch mit den 5:1 Punkten nach drei der fünf Vorrundenspiele kann Brand zufrieden sein. Die Spiele: Ein 40:12 gegen die USA und ein 33:26 gegen Südkorea – Pflichtsiege. Doch wie sie erspielt wurden – auch im Spiel gegen Kroatien (abgesehen von der Endphase) – macht Lust auf mehr. Überhaupt scheint die größte Stärke des deutschen Teams in Kampfgeist, Moral und mannschaftlicher Geschlossenheit zu liegen; wobei Letzteres überrascht, da man sich ob der personellen Veränderungen in Abwehr und Angriff erst neu finden musste.

Heiner Brand, einstmals Abwehrstratege beim VfL Gummersbach und ebensolcher in der Nationalmannschaft, musste sein Lieblingskind, die 6-0-Verteidigung, durch den Ausfall der Langzeitverletzten Klaus-Dieter Petersen und Mike Bezdicek umbesetzen. Und im Angriff ist insbesondere im Rückraum durch das Fehlen von Volker Zerbe (Rücktritt vom Nationalteam) und Daniel Stephan (Rekonvaleszent), die Spielerdecke dünn. Dies wird besonders dann augenfällig, wenn Jörg Kunze und Markus Bauer, die diese Positionen besetzen, eine Pause brauchen.

Nur um die Torwartposition muss sich Brand nach der „Auszeit“, die sich der Flensburger Jan Holpert für diese Weltmeisterschaft erbeten hat, bisher keine Gedanken machen. Um die Solidität des Magdeburgers Henning Fritz weiß er ohnehin, und mit der Nominierung und Bevorzugung des Großwallstädters Christian Ramota, auf den Heiner Brand in Sydney noch verzichtete, hat der Trainer einen echten Glücksgriff getan. Der 27-jährige Ramota ist offensichtlich noch ein Typ, der sich mit Enttäuschungen – und mögen sie noch so tief gesessen haben – nicht lange aufhält, sondern im Gegenteil die bestmögliche Leistung dann abruft, wenn sie verlangt wird, und dies vollkommen selbstverständlich.

Allen positiven Tendenzen zum Trotz sind die deutschen Handballer realistisch genug, um zu wissen, dass sie nach dem spielfreien Freitag gegen den derzeitigen Tabellenführer Spanien noch eine gehörige Portion zulegen müssen, um eine reelle Chance auf einen Sieg zu haben. Zwar gab es auch bei den Spaniern nach dem Bronzemedaillen-Gewinn von Sydney personelle Veränderungen (Trainerwechsel; Karriereende von Iñaki Urdangarín; verletzungsbedingter Ausfall eines der weltbesten Linksaußen Rafael Guijosa). Dennoch sind sie das einzige Team, das sich in der Vorrunde in Besançon mit 6:0 Punkten bisher schadlos gehalten hat.

Zu verstecken brauchen sich Christian Schwarzer, der heute gleich auf vier seiner Barça-Kollegen treffen wird, und seine Mitspieler aber nicht. Die Achtelfinalteilnahme steht bereits fest. Doch es gilt: Je besser die Platzierung in der Vorrunde, desto schwächer der Gegner im Achtelfinale.