Zur Sonne, zur Freiheit

Öko-Strom im All: Die größte Inselanlage in dem uns bekannten Universum schwebt 450 Kilometer über uns. Die Installation wurde fast ein Desaster

Die Internationale Raumstation (ISS) hat Anfang Dezember vergangenen Jahres Flügel bekommen – Solarflügel, um genau zu sein. Bis die Solarstromanlage in 450 Kilometer Höhe komplett ist, sind allerdings noch drei weitere Raumtransporte notwendig – dann aber wird sie unter voller Sonneneinstrahlung bis zu 256 Kilowatt Leistung zur Verfügung stellen. Doch schrammte die Installation des ersten Teils nur knapp am Desaster vorbei – aber das erfuhren auf Terra zunächst nur sehr wenige.

Alles begann an einem Sonntag. Es war der 3. Dezember, der vierte Tag der Space Shuttle Mission „STS-97“, mit der die ersten beiden Solarsegel zur ISS gebracht wurden. Es handelt sich bei den 450 Millionen Dollar teuren Solarkraftwerken um das größte jemals von Menschen in den Orbit transportierte Objekt. Noch ein Rekord: Die ISS ist zugleich die größte photovoltaische Inselanlage in dem uns bekannten Universum.

Zwei Astronauten waren soeben zum Shuttle „Endeavor“ zurückgekehrt. Sieben Stunden und 33 Minuten hatten sie im Weltraum verbracht, um die Behälter mit den empfindlichen Photovoltaikmodulen an der Außenhülle der Raumstation zu befestigen.

Dann kam das Computersignal der Flight Control vom Johnson Space Center in Houston, Texas, zum Entpacken der ziehharmonikaartig gefalteten Sonnensegel. Zuerst sollten durch das Ausfahren eines Teleskopmastes die beiden steuerbordseitigen Modulflächen aus ihrem 4,6 mal 0,5 Meter engen Gefängnis befreit werden. Doch irgendetwas lief schief. Jener Teil des Solarkraftwerks mit der nüchternen Bezeichnung „Power Channel 2 B“ entfaltete sich nicht vollständig. Die Mission war in Gefahr, doch das bemerkten nur Experten.

Die „kleineren Probleme“ beim Entfalten der Sonnensegel, über die auf der Erde im täglichen Statusreport berichtet wurde, trieben indes einigen Mitarbeitern der Lockheed Martin Space Systems in Sunnyvale, Kalifornien, den kalten Schweiß auf die Stirn. Die Techniker, die in mühsamer und jahrzehntelanger Arbeit die solare Stromversorgung für die Raumstation entwickelt und gefertigt hatten, begriffen schnell, dass es mehr war, als „ein Problemchen“.

Am nächsten Montag funkte man vom Flight Control Center bereits fröhlich die Nachricht zum Shuttle, dass trotz des „technischen Schluckaufs“ Power Channel 2 B „voll funktionsfähig“ sei. Zwar stimmte es, dass das halb entpackte Sonnensegel Strom lieferte. Verschwiegen wurde jedoch die Gefahr, dass – falls die Segel nicht voll entfaltet und gesichert werden könnten – diese von der Raumstation getrennt werden müssten, um dann in der Erdatmosphäre zu verglühen. Ein Millionen teures Spacewreck lag in der Luft.

In der Zwischenzeit entwickelte man auf der Erde eine neue Strategie, um ein ähnliches Desaster beim Entpacken des zweiten, backbordseitigen Segels zu vermeiden. In einer Stop-and-go-Prozedur sollte versucht werden, es langsam, aber sicher aus der Kiste zu holen; dies sollte über eine Stunde statt der ursprünglich geplanten 13 Minuten dauern.

Zumindest dies klappte wie geplant. Doch das Problem mit dem Steuerbordsegel war damit noch nicht gelöst. Als Ursache hatte man inzwischen zwei lockere Kabel ausfindig gemacht, die aus der Führung ihrer Umlenkrolle gesprungen waren. Auf der Erde war jetzt bereits ein anderes Astronautenteam auf dem Weg zu Lockheed Martin, um dort an identischen Sonnensegeln eine Methode zu testen, die Kabel wieder in ihre Führungen zu bekommen. Am 7. Dezember, vier Tage nach dem erfolglosen ersten Versuch, die Segel zu entrollen, bekamen dann die Astronauten Carlos Noriega und Joe Tanner grünes Licht aus Houston: Die Kollegen auf Terra waren erfolgreich gewesen, und Noriega und Tanner sollten die Prozedur jetzt im Weltraum wiederholen – man kannte so was ja schon von Apollo 13. Zuerst wurde also der Mast mit den Steuerbordsegeln wieder um gut einen Meter zurückgefahren, damit genug Kabel zur Verfügung stand, um es wieder in die Führung zu legen. Dies schaffte Noriega dann tatsächlich mit Hilfe eines zangenähnlichen Gerätes. Die Mitarbeiter von Lockheed Martin, die alles per Video am Boden verfolgten, wurden zu einer unkontrolliert ausflippenden Masse: „Es war aufregender als die Präsidentenwahl“, erinnert sich Brendan Alchorn, stellvertretender Programmleiter bei Lockheed.

Kein Zweifel, auch die zur Untätigkeit verdammten russischen und amerikanischen Astronauten an Bord der Raumstation, die das Shuttle-Team nicht vor dem nächsten Tag sehen würden, waren mehr als erleichtert. Die drei Teilbereiche der Station, die bisher mit den rund 16 Kilowatt Leistung aus den wesentlich kleineren russischen Solaranlagen auskommen mussten, konnten nun die 62 Kilowatt der neuen amerikanischen Solarsysteme nutzen. Drei weitere Fuhren mit identischen Solarsegeln wie die beiden neu installierten sind für die Jahre 2002, 2003 und 2006 geplant. Dann werden acht Sonnensegel, jedes bestehend aus zwei 35 Meter langen und 4,6 Meter breiten Modulfeldern, eine Solarfläche von der Größe eines Fußballfeldes bilden. WILLIAM P. HIRSHMAN

Der Autor ist Redakteur des Solarstrom-Magazins Photon International, Aachen. Übersetzungen aus dem Englischen: Anne Kreutzmann.