FÜR RENATE KÜNAST WIRD DER SPIELRAUM IN DER BSE-KRISE IMMER ENGER
: Agrarwende vorbei, ehe sie begonnen hat

Die selbst gesteckten Ziele der neuen Ministerin waren – vorsichtig gesagt – extrem ehrgeizig. Das erschütterte Vertrauen der Verbraucher in die Landwirtschaft zurückgewinnen, den Ökolandbau von drei auf zwanzig Prozent in den nächsten zehn Jahren ausbauen und vor allem: Die Agrarwende einleiten. Das will Renate Künast als Minsterin für Verbraucherschutz schaffen. Erreicht sie ihre Ziele, löst sie nicht nur das heißeste politische Problem der letzten und der nächsten Monate. Künast hat auch die Chance, die Grünen nicht nur als Umwelt-, sondern auch als Verbraucherschützer zu profilieren. Das wäre Politik für die „kleinen Leute“, die sich bei den Wahlen niederschlagen würde.

Doch danach sieht es nicht aus. Denn immer klarer wird, dass die versprochene Agrarwende kaum kommen wird – zumindest nicht in den nächsten Jahren. Einem Neuanfang in der Agrarpolitik, das zeigt sich besonders nach dem EU-Agrarministerrat von Montagnacht, fehlen die zwei wichtigsten Bedingungen: das ethische und das finanzielle Fundament.

Eine neue, naturnahe Agrarpolitik auf der Massenschlachtung von zwei Millionen Rindern in Europa gründen zu wollen, zeigt das Dilemma. Mit der subventionierten Überproduktion und der subventionierten Vernichtung sollte in der EU eigentlich Schluss sein, doch BSE hat da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Rinder, mit viel Geld produziert, sollen nun getötet und ungetestet verbrannt werden. Das macht Sinn in der Logik des Marktes, aber sonst nicht. Eine Antwort auf die Frage nach einem besseren Umgang mit Tieren und Lebensmitteln, die eine neue Agrarpolitik geben müsste, geben die ethisch fragwürdigen, weil eigentlich sinnlosen Massenvernichtungen von größtenteils gesunden Lebewesen nicht.

Und es kommt noch schlimmer: Für ein Umsteuern in eine ökologische Richtung ist zumindest vorerst schlicht kaum Geld da. Denn die Mittel, die auf EU-Ebene dafür verfügbar wären, werden von ebendiesem umstrittenen Schlachtprogramm aufgezehrt. Statt also eine weniger intensive Landwirtschaft zu fördern, die mit Mensch, Tier und Natur vorsichtiger umgeht, werden die Altlasten der Vergangenheit entsorgt. Drastisch gesagt: Die Vernichtung der verrückten Kühe verhindert eine Zukunft mit glücklichen Kühen. Der Agrarwende droht der finanzielle und ethische Bankrott, bevor sie überhaupt begonnen hat.

Renate Künast hat noch keine Fehler gemacht, aber sie und mit ihr die Grünen werden nicht unbeschadet bleiben. Künasts Spielräume, die noch nie groß waren, werden immer enger. Wie sollen die Verbraucher Vertrauen fassen, wenn Millionen Rinder ohne BSE-Tests vernichtet werden und der weitere Verlauf der Seuche ungeklärt ist? Und wie sollen Bauern in Richtung Natur umschwenken, wenn es kein Geld dafür gibt? Die Agrarwende, das merkt die Regierung nun, gibt es nicht umsonst. Wenn Gerhard Schröder seine neue Ministerin nicht im Regen stehen lassen will, müsste er die Agrarpolitik zur „Chefsache“ machen. Und das heißt vor allem: zahlen. BERNHARD PÖTTER