Präventiv im Knast

Baden-Württemberg will für „gefährliche Straftäter“ kurz vor Haftende noch eine Sicherungsverwahrung anordnen

FREIBURG taz ■ Kurz vor der Wahl will Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) noch rasch ein bundesweit einmaliges Gesetz durch den Landtag bringen: Sexual- und Gewaltverbrecher, deren Gefährlichkeit sich erst während der Haft herausstellt, sollen nicht entlassen werden, sondern „unbefristet“ in Sicherungsverwahrung kommen.

Die Sicherungsverwahrung ist keine neue Erfindung: Sie wurde 1933 eingeführt und trotz heftiger Kritik bis heute nicht abgeschafft. Als „letzte Notmaßnahme der Kriminalpolitik“ ermöglicht sie es, „allgemeingefährliche Hangtäter“ auch nach Verbüßung ihrer Strafe in Haft zu lassen. Rund 200 Personen sind derzeit bundesweit betroffen.

Bisher muss die Sicherungsverwahrung gemeinsam mit dem Urteil ausgesprochen werden. Eine nachträgliche Anordnung ist unmöglich. Goll sieht hier eine „Sicherheitslücke“. Wenn sich erst in Haft zeige, dass der Täter rückfällig werde, dann will der Minister eine neue Tat erst gar nicht abwarten, sondern die Entlassung verhindern.

Der Gesetzentwurf zielt auf Häftlinge, die sich an jemandem zu rächen drohen, aber auch auf HIV-infizierte schwere Jungs, die weiterhin Sex ohne Kondom ausüben wollen. Zudem soll es Folgen haben, wenn der Gefangene „beharrlich“ eine Therapie verweigert.

Auf Anhieb kann das Stuttgarter Justizministerium nur einen Fall nennen, der mit dem neuen Gesetz vermieden worden wäre. In Mannheim versuchte 1999 ein Sexualtäter, der in der Haft jede Therapie abgelehnt hatte, gleich nach der Entlassung erneut eine Frau zu vergewaltigen. Zudem verweist das Ministerium auf eine Umfrage bei Gefängnissen des Landes, wonach es in den vergangenen zehn Jahren mehr als 20 mögliche Anwendungsfälle gegeben hätte – das wären zwei pro Jahr.

Die geringe Zahl ist aber nicht unbedingt ein Argument gegen das Gesetz, geht es doch um den Schutz des Lebens und anderer hoher Rechtsgüter. „Bedenklich wäre eher, wenn die nachträgliche Sicherungsverwahrung nun allzu häufig eingesetzt würde“, betont Golls Sprecher.

Für den rechtsstaatlichen Ablauf der Verfahren wird ein Gericht zuständig sein, das die Entscheidung nach öffentlicher Verhandlung zu treffen hat – wie in einem Strafprozess. Zuvor müssten jedoch, so sieht es der Entwurf vor, zwei Gutachten zur Gefährlichkeit des Häftlings eingeholt werden. Mindestens alle zwei Jahre soll das Gericht dann überprüfen, ob die Sicherungsverwahrung noch notwendig ist.

Im Stuttgarter Landtag ist das Gesetz nicht unumstritten. „Ich halte es sogar für verfassungswidrig“, sagt Thomas Oelmayer, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, „als Land können wir so ein Gesetz gar nicht erlassen.“ Tatsächlich wurde versucht, die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Strafgesetzbuch – einem Bundesgesetz – zu verankern. Doch die Gesetzentwürfe von Bayern und Baden-Württemberg scheiterten im Bundesrat. Den Weg zum Landesgesetz öffnete 1998 Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin: Die Länder könnten „im Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenz für den Bereich ‚Gefahrenabwehr‘ eigene Regelungen schaffen“.

Kritik kommt vom Deutschen Anwaltsverein, der in Golls Plänen einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sieht. Diese erlaubt Präventivhaft nur, „wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer strafbaren Handlung zu hindern“. Voraussetzung für die Sicherungsverwahrung ist im nun vorgelegten Gesetzentwurf immerhin, dass von dem Inhaftierten eine „erhebliche gegenwärtige Gefahr“ ausgeht. Diese Formel ist aber durch die Rechtsprechung streng definiert: Ein Rückfall müsste demnach „in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorstehen“. Eine hohe Hürde angesichts der Unsicherheit solcher Prognosen. Der bloße Abbruch einer Therapie in der Haft dürfte kaum genügen.

Goll ist entschlossen, „sein“ Gesetz noch vor der Wahl im März durch den Landtag zu bringen. Morgen ist bereits die erste Lesung, der Beschluss ist für Februar vorgesehen. CHRISTIAN RATH