Die Kandidatin der Herzen

aus Stuttgart HEIDE PLATEN

Der Raum im Café Künstlerbund am Stuttgarter Schlossplatz ist zu klein. Deshalb sieht er so voll aus. Ute Vogt (SPD) freut das. Sie strahlt, dass die braunen Äuglein funkeln. Das macht es nicht bequemer. An vier kleinen Glastischen drängen sich die zum Pressefrühstück geladenen Journalisten der Region und sprechen den Käsebrötchen zu. Die mit der Wurst bleiben liegen. Vogt geißelt die BSE-Politik in Baden-Württemberg und Bayern. Und verweigert sich dann dem, was eigentlich alle immer wieder von ihr wissen wollen: Nein, es gibt kein Schattenkabinett im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg, auch „kein Sonnenteam“. Die Grübchen in den Wangen vertiefen sich, der rechte Mundwinkel rutscht nach oben. Das gibt dem Lächeln einen ganz leicht spöttischen Hauch. Nein, keine Personaldebatten: „Ich will nicht Menschen, die jetzt schon auf Posten gieren.“

Das mag seine guten Gründe haben. Der Spitzenkandidatin zur Seite sitzt Generalsekretär Wolfgang Drexler. Der hatte, selbst ambitioniert, Ute Vogt (36) nicht gerade euphorisch begrüßt, als sie im Sommer1999 ihre Konkurrenten Ulrich Maurer und Siegmar Mosdorf ausbootete, als sie sich der Urwahl ihrer Partei stellte und 67 Prozent der Stimmen holte. Nun muss er sie loben. Ute Vogt lobt zurück. „Mein Vorteil“, hat sie in mehreren Interviews gesagt, „war immer, unterschätzt zu werden.“

Personalquerelen in der SPD? Ute Vogt schüttelt ihre gekonnt zerzauselte, rotbraune Lockenmähne, grinst wie eine Göre und sagt: „Das haben wir auch schon gehabt.“ Sei’s drum. Es gibt eben nichts, was nicht anderswo noch schlimmer sein kann. Landesvater Erwin Teufel wird, das pfeifen die Spätzle im Ländle von den Dächern, seiner eigenen Partei immer mehr zum Klotz am Bein. Der potenzielle Kronprinz, der Landtags-Fraktionsvorsitzende Günther Oettinger, gilt als größter Gegner Teufels. Und die Grünen? Die mit ihren schwarz-gelb-grünen Ampel-Spielen? Vogt kichert. Die seien, sagt sie, offenbar „völlig von der Rolle“. Da ist dieser gegen ihre Kandidatur gerichtete Slogan: „Jung und Frau reicht nicht.“ Oder hieß der „Nur nett und lieb reicht nicht“? Und das ausgerechnet von den Grünen: „Ein bissel peinlich.“ Kurz: „Das Läätschte!“ Vor allem die Letzten, von denen sie das erwartet hätte. Sie vermutet: „Die sind sehr nervös.“

Jede Woche ein Fernsehduell

Nun gibt es ja nichts, was politische Gegner im Wahlkampf nicht gegeneinander verwenden. Zum Beispiel den kurpfälzischen Dialekt, der der Juristin Vogt doch wirklich nur sehr gemäßigt von den Lippen kommt. Und das, nachdem die Landesregierung ausgerechnet mit demselben für sich und den Standort Baden-Württemberg geworden hatte: „.Wir können alles, nur nicht Hochdeutsch.“ Ein Fernsehduell von Vogt mit Ministerpräsident Erwin Teufel (61) im November im Südwestrundfunk erreichte die für einen Regionalsender enorme Einschaltquote von 19 Prozent. Jung, frisch, sympathisch sei sie, urteilten die Zuschauer über Vogt. Mit den Pfunden dieses Images hat sie nicht so richtig wuchern können. Dass der alte Routinier Teufel, mit dem Etikett eines grundsoliden, aber verknöcherten, trockenen Buchhalters behaftet, versucht hat, sie mit ebenso trockenen Fakten vorzuführen, hatte sie allerdings erwartet. Sie hat Zahlen gebimst. Das hat man ihr hinterher vorgeworfen. Wenn sie aber nicht auf dieser Ebene pariert hätte, grollt sie, dann hätte es wieder geheißen: „Die hat ja keine Ahnung.“ Im Endergebnis ist sie sehr zufrieden mit sich: „Ha, des war Klasse. Das machen wir wieder, von mir aus jede Woche!“ Nur, dass der Teufel nun nicht mehr will.

In der Stuttgarter SPD-Zentrale am Wilhelmsplatz ist Ute Vogt ganz Chefin. Die Umgebung muss stimmen: hell, kühl, klar, Holz und Stahl. Sie kneift die Augen zusammen, eisiges Metallglitzern, Vogt fokussiert mit ihrem Blick für Feinde. Da in der Ecke: Die Bronzefigur, die ihr Kollegen auf das Stehpult gestellt haben, sticht ihr ins Auge. Die muss wieder raus. Sofort. Ganz nebenbei, bitte, denn eigentlich ist Interviewtermin mit der Öko-Zeitschrift Neue Energie. „Fangen wir an?“, drängt sie den Redakteur Ralf Köpke. Die Kandidatin redet schnell, routiniert und kompetent über Wasserstoffautos, Solarenergie, über „Verschlafenheit“ und „Granatenfehler“ der Regierungskoalition im Energiebereich. Und mischt Allgemeines mit Persönlichem. Die Fotovoltaik-Anlage auf ihrem Dach daheim in Wiesloch ist Vorbild für die Nachbarn und leistet 1,8 Kilowatt: „Größer war das Dach nicht.“

Ute Vogt gilt nicht nur als sympathisch, sondern auch als spontan, ungestüm, vermessen gar, weil sie mit so jungen Jahren Landesmutter werden möchte. „Passt alles net!“, sagt sie. Na schön: „Ich stehe nicht in dem Ruf, dass ich Krach vermeide.“ Aber Mut werde bei Männern nie kritisiert. Und sie verweist auf den SPD-Hoffnungsträger Heiko Maas im Saarland und den hessischen Ministerpräsidenten Koch, der auch nicht so viel älter sei. 18 Jahre mache sie jetzt Politik: „Ich bin ja nicht aus dem Hut gezaubert.“

Ute Vogt ist katholisch erzogen worden. Die Geschichte, wie sie sich als Zehnjährige mit ihrer Freundin beim örtlichen Pfarrer beharrlich das Recht erstritten hat, als erstes Mädchen in Wiesloch Messdienerin werden zu dürfen, ist Bestandteil des Wahlkampfes geworden. Zur SPD ist sie über die Friedensbewegung gekommen. Die Mutter hätte sie lieber in der Jungen Union gesehen. Aber Erhard Eppler und Oskar Lafontaine haben ihr imponiert.

Wieslochs erste Messdienerin

Das Land ist groß, 70 Wahlkreise sind zu bereisen. Der Fahrer nähert sich Singen am Hohentwiel. 17 Uhr, ein schlechter Termin. Ute Vogt ist gleichzeitig neugierig und bangt: „Ob überhaupt jemand da ist?“ Das Gasthaus „Die Färbe“ ist gedrängt voll und diesmal ist der Saal groß. Dunkelheit, Musik, der Wahlkampf-Trailer läuft, Ute rennt, Auftritt. Ein Moderator stellt die Fragen. Politik „nicht nur für den Kopf, auch für die Herzen“ will sie machen. Die streitbare Exministrantin kommt zur Sprache und eine verlorene Wahl als Klassensprecherin.

Ute Vogt agiert mit dem ganzen Körper, bewegt sich mit dem Mikrofon in der Hand wie ein Rockstar, wippt auf den Zehen vor und zurück, Schultern beide nach hinten, die Rechte nach vorn, die Hände wechseln routiniert das Mikrofon. Schwerpunkte Bildungspolitik, Wirtschaft, Umwelt, BSE und ein wenig Verbraucherschelte werden abgehakt. Und ihr Verhältnis zu Kanzler Schröder? Das sei, sagt sie, „ganz prima!“ Zuerst sei Schröder skeptisch gewesen, weil sie aus dem „Lafontaine-Lager“ gekommen sei. Jetzt aber nicht mehr: „Mir gefällt er als Kanzler weit besser, als er mir als Kanzlerkandidat gefallen hat.“

Und sie gefällt dem Publikum auch, weil sie die Kritik vorwegnimmt. Nein, sagt sie, sie sei keine Frau für Chanel-Kostüme. Die Hosenanzüge müssen sein „wegen der dicken Fußballerwaden“. Und taucht zum Ende der Veranstaltung ab in die Menge. Ihre vier Leibwächter blicken entnervt drein. Sie dürfen, hat sie sich ausbedungen, „nur sehr dezent“ agieren. Dass sie in den letzten Wochen Morddrohungen per Brief und Telefon erhalten hat, will sie „nicht hoch hängen“, auch keinen Termin absagen. Ute Vogt ackert am Abend noch einmal – diesmal in St. Georgen im „schönen Schwarzwald“. Und rechnet sich für die Wahl am 25. März einen gehobenen Achtungserfolg aus. Jedenfalls soll das Ergebnis erheblich besser sein als das der letzten Landtagswahl. Mit 25,1 Prozent Stimmanteil hatte die SPD 1996 so schlecht abgeschnitten wie nie zuvor in Baden-Württemberg. In aktuellen Umfragen liegen die Sozialdemokraten bei 32 Prozent.

Die SPD-Wähler seien, sagt Ute Vogt, diesmal zwar „hoch motiviert“, das gesamte Land aber „nicht so in Wechselstimmung“ wie bei Helmut Kohl. Was im Parlament in Stuttgart geschehe, interessiere die Bürger außerhalb des Mittleren Neckarraumes ohnehin herzlich wenig. Der seit 1991 amtierende Teufel, ahnt sie, werde auch deshalb bleiben, weil die CDU überall bis zum letzten Landrat mit dem Alltag in den Gemeinden „verstrickt und verwoben“ sei. Er sei „ein erstaunliches Phänomen“: „Er ischt halt da und schadet net.“