Im eigenen Tod sich selbst spüren

■ Platzen vor angestautem Überdruss: Mit Falk Hocquéls Welcome Suicide – jetzt auf Kampnagel – zum höchst individuellen Sterben auf die Schweizer Alm

Extremsportarten, Bungee-Jumping, Freeclimbing: Die Liste der modischen selbstgewählten Todeskitzel lässt sich beliebig fortsetzen. Und wer weiß, was uns noch alles blüht! Am Ende womöglich das, was sich der Regisseur Falk Hocquél für seine Diplominszenierung Welcome Suicide im Rahmen der Reihe Fertig...Los! Diplom 2001 auf Kampnagel ausgedacht hat. Vier vom kapitalistischen Überlebenskampf ermüdete Erfolgsmenschen reisen in die Schweizer Alpen und beziehen ein Luxushotel. Ihr Ziel ist nicht etwa Urlaub auf der Alm, sondern der zuvor via Internet gebuchte eigene Mord, die individuelle Todesart.

Der 29 jährige Falk Hocquél hat in Wien und Hamburg studiert und bereits mit seinen Arbeiten Quartett von Heiner Müller im Theater in der Basilika und Gott ist ein DJ nach Falk Richter im Rahmen des Nachwuchsfestivals Die Wüste lebt! an den Hamburger Kammerspielen von sich reden gemacht. Gerne hat er wie viele Nachwuchsregisseure erst eine Weile die guten alten Originale verbogen, jetzt zieht es ihn zu neuen Stoffen.

Für Welcome Suicide entwickelte er erst die Dramaturgie, dann strich er durch die Literaturclubs und Poetry-Veranstaltungen der Stadt, auf der Suche nach Autoren. Er fand sie in dem Performer Gernot Grimm, Jungautor Benjamin Maack, Slam-Poet Hartmut Pospiech, der Wired-on-words-Heroine Tracy Splinter und der erst 18jährigen Foolsgarden-Aktivistin Friederike Trudzinski. Fortan brüteten sie über Dialogen und entwi-ckelten – jeder eine Figur – das Stück. Streng subjektiv verflechten sich die Erzählstränge bald zu einer schwarzen Komödie.

Gespielt wird vor einer pseudorealen Bergkulisse, durchsetzt mit filmischen Einlagen des Video-Duos fettFilm und Musik von DJ suujaa (Philipp Grabs) und dem DJ Trio „Chicken-Shit-Soundsys-tem“. Eine Managerin, ein Party-Girl, ein Altenkrankenpfleger und ein Programmierer nehmen den Weg in der Seilbahn ohne Wiederkehr und landen in besagter Empfangshalle. Sie platzen vor angestautem Überdruss, wissen nicht mehr, wofür es sich zu leben lohnt und hoffen, bei dieser letzten hilflosen Tat ihren Körper und sich selbst noch einmal zu spüren.

Doch auf der Alm kommt alles anders, und bald jagt ein Cliff-Hanger den nächsten. Ein Gast vereist sich selbst, ein anderer will der Zerstückelung entgehen. Auf die Zimmer gelangt eigentlich niemand, es gibt keine Betten, das Essen serviert ein Avatar mit Namen Bob per Flachbildmonitor, und der Fahrstuhl wird zur Endstation. Denn hier oben herrscht ein mordender Todesengel. Hocquél geht es nicht um ein irgendwie moralisches Statement zum Selbstmord, über den man allerdings einige durchaus wissenswerte Fakten erfährt. „Ich will kein unbedingtes Plädoyer für das Leben zeigen, sondern eine Reflexion des Zuschauers darüber anstoßen, dass diese Dinge möglich werden, wenn es hier noch schlimmer kommt“, sagt der Regisseur. Er glaubt an eine ästhetische Erziehung des Menschen. Auf „intellektueller“ und „emotionaler“ Ebene will er eine neue Lust aufs Leben schaffen, die vielerorts in unserer schön nihilistisch eingerichteten Welt verloren ist. Hier könnte man sie für einen Augenblick hinweglachen. Annette Stiekele

Mittwoch, Donnerstag, Freitag, 19.30 Uhr, Kampnagel, k2