Nicht furchtbar genug

■ Von Weber flach, Berlioz bedrohlich: Das Staatsorchester spielte in der Glocke

„Mit nur geringfügiger Übertreibung lässt sich sagen, dass bis heute die „Symphonie fantastique“ in den eineinhalb Jahrhunderten seit ihrer Entstehung nichts von der Gewalt der unmittelbaren Wirkung eingebüßt hat“, schrieb der Berliozforscher Wolfgang Dömling. Natürlich hört man nicht mehr, dass der 26-jährige Hector Berlioz eine Attacke gegen die Bastionen des französischen Konservativismus ritt. Aber indem man sich auf diese farbenreiche, erstaunlich kontrapunktlose Musik einlässt, die mit ihrer „idée fixe“ eine enttäuschte Liebe „aus dem Leben eines Künstlers“ zum Thema hat, kann man schon die damalige Ungeheuerlichkeit nachvollziehen. Und dass war auch im letzten Philharmonischen Konzert in der Glocke zu spüren, obschon die Wiedergabe unter der Leitung von Günter Neuhold nicht restlos befriedigte.

Zwar überzeugte die Konzep-tion, das Stück ist klar eines der Favoriten von Neuhold. Der Dirigent begann relativ zart, mit einer behutsamen Spannung ohne falsche Hast. Der „Gang zum Richtplatz“ entspricht dem fürchterlichen Traumereignis, ist kein lustvoller Sound eines Eilmarsches, sondern wird, fast wie ein Mahler'scher Trauermarsch, mit gestauter Ängstlichkeit gespielt, der „Hexensabbat“ mit dem „Dies Irae“ gelingt transparent und bedrohlich, wenn auch für mein Verständnis nicht furchtbar genug.

Die Instrumentalsemantik, die Berlioz unter anderem durch die Verwendung der Ophikleide (ein heute meist durch die Basstuba ersetztes Klappenhorn) erreicht, deren „hässlichen“ Ton der Komponist bewusst eingesetzt hat, fehlte natürlich, und es war auch an diesem Abend immer wieder ein gefährlicher Spannungsverlust zu beobachten, der nur durch erzwungene Fortissimi wieder gebrochen werden konnte.

Am Anfang des Programmes stand das 2. Klarinettenkonzert von Carl Maria von Weber, ein Konzert, das seine musikalische Flachheit wettmacht durch die mitreißende Präsentation eines Instrumentes: „brillante“ muss die Klarinette in allen Lagen spielen. und lebt so beinahe ausschließlich vom Charisma eines Musikers allein. Diese große Herausforderung meisterte der spanische Solist dieses Abends, Joan Enric Lluna, der aus seinem Instrument eine begeisternde Vielfalt betörender Klangnuancen und scharf konturierter Artikulationen produzierte. Der Beifall für ihn wollte keine Ende nehmen.

Ute Schalz-Laurenze