ANGELA MERKELS OFFENHERZIGKEIT SCHADET IHR UND DER CDU
: Lehre Wehner

Angela Merkel hat es derzeit schwer. Mangelnde Absprachen im Apparat, eine halbe Entschuldigung für ein missratenes Anti-Schröder-Plakat. Und nun ein Bild-Interview, in dem sie offenherzig bekennt: „In 500 Tagen wird die Bundespartei regierungsfähig sein.“ In der Ruhe liege die Kraft, hat Merkel noch angemerkt. Eine richtige Erkenntnis. Nur: Eine Parteivorsitzende darf so etwas nur ihren engsten Vertrauten sagen, der Öffentlichkeit jedoch nie. Wer sich selbst ein zeitlich befristetes Unreifezeugnis ausstellt, den wählt nur der Allertreueste. Die Unentschlossenen, deren Zahl stetig wächst, folgen dem, der am besten Entschlossenheit suggeriert. Und darin ist Schröder, bei allen Kratzern, die die Rücktritte seiner Minister hinterließen, immer noch ein Meister.

Die Zeit, die sich Merkel für ihre Partei wünscht, wird im hektischen Politbetrieb keinem gegönnt. Politik ist kein Basketballspiel, in dem man eine Auszeit verlangen kann. Wer sich besinnen will, gibt sich verloren. Natürlich wagt Merkel das ihrer Partei nicht zu sagen. Stattdessen lässt sie das Prinzip Hoffnung leuchten: In 500 Tagen sind wir so weit! Arme Merkel. Sie muss so reden, auch wenn sie selbst nicht daran glauben mag. Schonungslose Offenheit kann sich nur erlauben, wer frei ist. Frei von der Verantwortung, täuschen zu müssen.

Herbert Wehner hat das hellsichtig erkannt. Vor dem Machtwechsel 1982 nahm er sich die Freiheit, der SPD die Hoffnung zu rauben. 15 Jahre Opposition prophezeite er, sollten das sozial-liberale Bündnis zerbrechen. Die SPD nahm es ihm übel; bald darauf legte er seine Ämter nieder. Die Lehre: Wenn Merkel offenherzig bleibt, könnte es sein, dass sie noch scheller abtreten muss, als ihre Partei regierungsfähig wird. SEVERIN WEILAND