Der Fluch des Goldes

Ein Jahr nach der Zyanidverseuchung in Ungarn: Skrupellose Konzerne vergiften weiter die Umwelt. Dabei braucht niemand das Gold. Das meiste liegt nutzlos in den Tresoren

Moderne Goldschmiede halten sich an saubere Goldminen: an Altgold und die Schätze der Tresore

Heute trauert Ungarn um den „Tod der blonden Theiß“. Es jährt sich die schlimmste europäische Umweltkatastrophe der letzten Zeit. Verzweifelt warfen die Ungarn damals Blumen von den Brücken auf den sterilen Fluss. Das Parlament in Budapest hat den 1. Februar zum nationalen Trauertag erklärt.

Der Damm eines Rückhaltebeckens war beim australisch geführten Minenbetrieb Aurul („Gold“) im Nordosten Rumäniens gebrochen. Von Baia Mare aus ergoss sich eine giftige Schlammflut in die Theiß, die 600 Kilometer durch Ungarn fließt. Wie beim bis dahin schlimmsten Flussdesaster Europas, der Rheinvergiftung durch die Basler Firma Sandoz 1986, wurde schlagartig alles Leben ausgelöscht.

Anders als nach der Rheinvergiftung wird die Theiß jedoch bisher nicht aus dem Oberlauf und ihren gesunden Nebenflüssen neu belebt. Von den einst 64 Fischarten sind erst zwei zurückgekehrt: Es sind anspruchslose Allerweltsfische, die Algen und niedere Pflanzen fressen. Zwergwelse und Karauschen breiten sich auf einer Unterwasserödnis aus. Sie stammen aus China und Nordamerika und waren vor hundert Jahren in Europa noch nicht bekannt.

Der Fluss wird ständig wieder vergiftet. Quelle sind mindestens 13 Orte in Rumänien, hauptsächlich Bergwerke. Am gefährlichsten sind die Goldminen, in denen das Kultmetall mit akut giftigem Zyanid aus der Erde gelöst wird. Seit Februar 2000 sind sieben neue Unfälle bekannt geworden, alle angeblich „nicht so schlimm“. Doch bei einem Vorfall flossen 150 Tonnen Giftschlamm aus einer Mine, wie Greenpeace-Recherchen ergaben. Auch die EU-„Task Force Baia Mare“ kennt die Lage und hat in Brüssel Handlungsbedarf angemeldet.

Wenn die EU verhindern will, dass mitten in Mitteleuropa immer wieder immense Umweltkosten auf sie zukommen, muss sie in Rumänien, einem Beitrittsland der „zweiten Tranche“, helfend und dirigierend eingreifen. Alle Zyanidminen müssen geschlossen werden – nicht nur in Rumänien, sondern weltweit.

Gold beeindruckt seit je durch seine chemische Unangreifbarkeit, seinen steten Glanz und seine hinreißende Zwecklosigkeit. Anders als Platin und Silber war es aber nie von dauerhaftem technischem Nutzen. Es war immer das Metall der Könige und der Reichen, seit 1900 der Nationalbanken. Doch die Goldanbindung der Währungen gilt seit 20 Jahren nicht mehr. Zahngold gerät durch neue Keramikentwicklungen aus der Mode; in Computerchips wird Gold fast entbehrlich. So dient es wie früher wieder vorrangig dem persönlichen Schmuck und der privaten Schatzbildung. 85 Prozent der weltweiten Jahresförderung von 3.000 Tonnen werden von der Juwelierbranche verarbeitet oder wandern in private Schatullen.

Seit Tausenden von Jahren wird unterirdisch nach Gold gegraben; seit 1848 sind auch die Nuggets in den Flussläufen Kaliforniens bekannt; inzwischen beuten wir zudem solide Erzadern in Südfrika aus. Sie liefern über 25 Gramm Gold pro Kubikmeter Erz. Doch solche ergiebigen Vorkommen sind erschöpft. Die Goldanteile sinken heute auf höchstens 2 Gramm pro Kubikmeter und können nur noch mit brachialer Gewalt und schweren Giften ausgelaugt werden. Zunächst mit Quecksilber, seit dreißig Jahren mit Zyanid.

Die 120 Tonnen Zyanide, mit denen nur etwas mehr als ein Zentner Gold in Baia Mare gewonnen wurde, haben fast zwei Millionen Menschen von ihren Trinkwasserquellen abgeschnitten. Tausende von Familien, Fischern und Restaurants wurden um ihre Einkommen gebracht, der Tourismus an der Theiß ist um Jahre zurückgeworfen. Die Giftmenge hätte gereicht, um – gezielt verabreicht – eine Milliarde Menschen zu töten. Wie will man das in Geld bewerten?

Andererseits: Der herausgelaugte Zentner Gold bringt den Minenbesitzern den läppischen Gewinn von etwas mehr als einer Million Mark. Ein schönes Haus in netter Lage. Die Esmeralda Explorations Ltd., die Betreiberfirma in Perth, meldete dafür Konkurs an. Das kommt einem bekannt vor: Nach einem größeren Zyanidunfall in der Summitville Mine, Colorado, war der Fluss Alamosa tot. Der Betreiber Robert Friedland investierte im kanadischen Bergbau, in Indonesien und Burma. In den USA erklärte er dagegen den Bankrott. Die Sanierungskosten von 150 Millionen Dollar trugen die Steuerzahler.

Seit der Einführung des Zyanidverfahrens gab es etwa ein Dutzend schwerer Unfälle und etliche taktische Bankrotte, zuletzt in Ecuador, Guyana und Kirgisistan. Und immer wieder lag die Führung bei australischen und kanadischen Firmen. Sie wären für eine derart schlampige Lagerung von hochgefährlichen Giften zu Hause sofort angeklagt worden. Doch im Ausland wird nach dem Motto „Hit and run“ verfahren, werden kurzlebige Joint-Ventures etabliert. Nach erfolgreicher Ausbeutung zieht die Karawane weiter, den Ansässigen bleiben leer gequetschte, vergiftete Halden. Der Zyanidprozess ist nicht beherrschbar. Dieser Ökokolonialismus profitiert davon, dass die Bergbauindustrie sich bisher weltweit verbindlichen Standards widersetzt.

Inzwischen hat ein neuer Goldrausch in den rumänischen und ukrainischen Karpaten eingesetzt. Wiederum sind dort Australier und Kanadier dabei, darunter so große Konzerne wie Rio Tinto oder Broken Hill: Sie gründen Joint-Ventures mit einheimischen Firmen, mieten alte Minengelände, schaffen Zyanid herbei – und werden weiter vergiften.

Anders als Platin und Silber wird Gold kaum technisch eingesetzt. Es beeindruckt durch Nutzlosigkeit.

Die Menschen haben im Laufe ihrer Geschichte ungefähr 125.000 Tonnen Gold aus Erdlöchern herausgeschafft. Fast die Hälfte davon liegt aber, völlig zwecklos, in neuen Löchern: in den Tresoren von Nationalbanken und Privatiers. Neues Gold ist bei den derzeitigen Preisen auf verantwortliche Weise nicht zu gewinnen. Moderne Goldschmiede halten sich daher an saubere Goldminen: an Altgold und die Schätze der Tresore.

Die Geschäftsführerin des World Gold Council, Haruko Fukuda, warnt, geradezu in Panik geraten, vor dem drohenden Preisverfall: Goldverkäufe aus dem britischen und Schweizer Staatsschatz könnten den Markt zerstören. Und ihre Sorge ist berechtigt: Bei steigendem Angebot fallen die Preise.

Wir haben daher ein anderes Angebot an den Gold Council, für das wir gern mit ihm zusammen streiten würden: ein schnelles Verbot des Zyanidverfahrens. Dann würde sich das Problem des Überangebots von selbst regeln, weil es kaum noch neues Gold gäbe. Doch dazu bedarf es internationaler Vereinbarungen, die Zeit brauchen. Daher sollte zunächst eine verbindliche Erklärung der Goldverarbeiter angestrebt werden; sie könnte sogar schneller wirken.

Übrigens keine Sorge: Gold wird nie „verbraucht“, sondern recycelt – und dies quantitativ und qualitativ besser als jeder andere Stoff. Verloren geht nichts, aber der Wert wird steigen. Aber mehr als die jetzigen Goldvorräte braucht die Menschheit nicht. ANDREAS BERNSTORFF