Estrada mag keinen Urlaub

Der philippinische Expräsident will seinen Sturz nicht wahrhaben und meldet wieder Machtansprüche an, derweil immer fantastischere Korruptionsgeschichten zirkulieren

BANGKOK taz ■ Joseph Estrada will nicht aufgeben: Vor Anhängern seiner „Partei der philippinischen Massen“ erklärte der 63-jährige Expräsident gestern in Manila: „Ich bin immer noch der rechtmäßig gewählte Präsident der Philippinen.“ Dies war sein erster öffentlicher Auftritt, nachdem ihn am 20. Januar eine Koalition aus Oppositionspolitikern, Militärs, führenden Geschäftsleuten und katholischen Geistlichen mit Massendemonstrationen und politischen Winkelzügen in einem unblutigen Putsch aus dem Amt getrieben hatte.

Er sei „derzeit nur im Urlaub“, verkündete Estrada, dem seine Gegner schwere Korruption und Amtsmissbrauch vorwerfen. Zuvor hatten seine Anwälte das Oberste Gericht aufgefordert, die Verfassungsmäßigkeit der neuen Regierung unter der früheren Vizepräsidentin Gloria Macapagal Arroyo zu überprüfen. Estrada selbst sprach von einer „Verfassungskrise“ und sagte, alle inzwischen ernannten Minister amtierten nur vorübergehend.

Arroyo warnte unterdessen Estrada-Anhänger in Militär und Politik vor Putschversuchen: „Ich werde sie zermalmen“, drohte sie. Um Estradas Versuche, wieder auf die politische Bühne zurückzukehren, steht es allerdings extrem schlecht. Die neue Regierungschefin könne sich auf die Unterstützung des Militärs verlassen, versicherte gestern Armeechef Angelo Reyes. Er hatte mit der Aufkündigung der Loyalität des Militärs zu Estrada entscheidend zu dessen Sturz beigetragen und zugleich einen Putsch mittlerer Offiziersränge verhindert.

In Manila glaubt kaum jemand, dass die Obersten Richter zu Gunsten Estradas entscheiden: Sie selbst waren es, die der Machtübernahme Arroyos zugestimmt und Estrada für amtsunfähig erklärt hatten. In einer gestern veröffentlichen Umfrage hielten 65 Prozent der Befragten den erzwungenen Sturz Estradas für gerechtfertigt, 22 Prozent für falsch.

Immer neue Enthüllungen über den angeblichen Reichtum der Estrada-Familie füllen die philippinischen Zeitungen: Die Familie des Expräsidenten, seine Mätressen und Freunde sollen seit seinem Einzug in den Präsidentenpalast Malacañang im Sommer 1998 Häuser, Luxusautos und Bankkonten im Wert von mehreren Hundertmillionen Mark erworben haben, behaupten Ermittler. Dies, so die Kritiker, kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Denn Estradas offizielles Präsidentengehalt betrug nur knapp über 24.000 Mark im Jahr.

Einige der engsten Geschäftspartner und Freunde Estradas erklärten sich mittlerweile bereit , „alles“ über die vielfältigen Finanztransaktionen des Expräsidenten zu enthüllen. Die Rede ist unter anderem von illegalen Glücksspiel-Syndikaten, Insider-Geschäften an der Börse und Schmiergeldern für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits wegen „wirtschaftlicher Ausplünderung“, Amtsmissbrauchs und Meineids. Im Gegenzug für ihre Kooperation hoffen die Auskunftswilligen, ihren Kopf aus der Schlinge ziehen zu können.

Die neue Präsidentin versucht derweil, sich als saubere Alternative zu profilieren: Per Dekret ließ sie verbieten, dass ihre Familie an staatlichen Projekten beteiligt wird. Außerdem forderte sie die Minister zu einem „einfachen Lebensstil“ auf. Um das tiefe Loch in der Haushaltskasse zu stopfen, will sie mehrere Residenzen und die Luxusjacht des Präsidenten verkaufen, kündigte sie an. JUTTA LIETSCH