„Die Mannschaften müssen auf ihre Fans selbst reagieren“

Carlo Balestri, Mitarbeiter eines antirassistischen Fanprojekts, bezweifelt, dass es Sinn macht, wenn Schiedsrichter das Spiel wegen rechter Ausfälle abbrechen

taz: In Verona spricht man jetzt wieder von ein „paar Dummköpfen“, die Parolen schreien. Wie stark ist der Anhang der Nazis in den Stadien wirklich?

Carlo Balestri: Zunächst ist festzuhalten, dass wir seit mehreren Jahren regelmäßig mit diesem rassistischen Gorillagebrüll zu tun haben. Zum Massenphänomen wurde es mit Beginn der Neunzigerjahre. Damals verpflichteten italienische Mannschaften verstärkt schwarze Spieler. Damals wurde aber auch Italien selbst vom Aus- zum Einwanderungsland. Zugleich ist die linke Massenkultur in der Bevölkerung weggebrochen; und bei Jugendlichen wurden Parolen wie „Machen wir die Grenzen dicht“ populär.

Dieses Gebrüll ist ja auch ein Spiegel der Gesellschaft. Bei Lazio Rom ist es doch keineswegs so, dass da nur ein paar hundert schreien. Ich war vor zehn Tagen beim Spiel Lazio gegen Inter Mailand. Die gesamte Kurve – um die zehntausend Fans – hat diese üblen Sprechchöre angestimmt, und selbst auf der Tribüne und in den anderen Sektoren des Stadions hat wohl die Hälfte mitgemacht. Noch schlimmer ist es in Verona. Da kann man von einer wirklich homogenen Situation reden, da steht praktisch das gesamte Stadion hinter dem rassistischen Geschrei.

Also hat der Vereinspräsident Recht, wenn er sagt, seine Fans tolerierten keine Ausländer im Team?

Die tolerieren Ausländer weder auf dem Fußballplatz noch in der Gesellschaft. Und am meisten stoßen ihnen natürlich Spieler anderer Hautfarbe auf. Aber eigentlich wollen sie die Mannschaft generell ausländerfrei haben. Es gab auch Ausnahmen – Briegel zum Beispiel schaffte es, zum Idol der Fans von Verona zu werden. Aber der war ja auch deutsch und arisch, damit kann ein Nazi leben.

Jetzt ist wieder von harten Maßnahmen die Rede, von Spielabbrüchen oder von der Abhaltung von Spielen ohne Publikum. Sind solche Maßnahmen Erfolg versprechend?

Meiner Meinung nach bringen sie nichts. Einerseits tragen sie womöglich dazu bei, dass die Ultras sich noch stärker fühlen; sie hätten es ja in Zukunft in der Hand, ein Spiel einfach scheitern zu lassen. Und andererseits wird durch Repression keine Aufklärung erreicht.

Die Vereine selbst müssen da ran, mit Fanprojekten, wie sie in Deutschland oder auch bei uns in Bologna stattfinden. Und mit der vertraglichen Verpflichtung ihrer Millionenstars, sich auch auf diesem Feld zu engagieren.

Wir schlagen vor, dass jeder Spieler ein paar Stunden pro Woche in die Beschäftigung mit den Fans seines jeweiligen Clubs investiert und dort Aufklärungsarbeit leistet. Außerdem müssen die Mannschaften selbst im Stadion auf die Ausfälle reagieren.

Ein polizeilicher Spielabbruch bringt nichts. Wenn aber die Stars der eigenen Mannschaft die Partie unterbrechen und ihren Fans klipp und klar sagen, dass das Spiel nur bei Einstellung der rassistischen Chöre weitergeht, dann können sie was erreichen.

INTERVIEW: MICHAEL BRAUN