I sprech english

■ Das Musical „Chess“ der beiden Abba-Komponisten machte in der Glocke Station

Wie soll der Mann noch ordentlich Schachspielen, wenn er dabei die ganze Zeit rumsingen muss? Solche (zugegeben albernen) Gedanken konnten einem schon kommen, als man in der Glocke einer großen Anzahl von polnischen MusicalkünstlerInnen dabei zusah, wie sie, zur Musik von zwei Schweden, zwei Russen in Thailand beim Schachspielen mimten.

„One Night in Bangkok“ – das Lied haben Sie doch sicher noch im Ohr, oder die Schnulze „I know him so well“. Nun, beide sind aus dem Musical „Chess“, das die beiden Abba-Musiker Benny Andersson und Björn Ulvaeus in der Mitte der 80er Jahre komponierten, nach dem Libretto von Tim Rice, der für Andrew Lloyd Weber die Texte zu „Jesus Christ Superstar“ und „Evita“ schrieb. Beide Songs wurden damals Welthits, das Musical dagegen nicht, sodass es erst jetzt in dieser Tourneeproduktion des polnischen Musicaltheaters Gdynia seine deutsche Erstaufführung erlebt.

Nun kann man das Stück nicht unbedingt anhand der Aufführung bewerten. Als Tourneegruppe reist Gdynia mit wenig Gepäck, und so fallen all die aufwendigen Kulissen und Bühneneffekte, die bei den Musicals unbedingt nötig zu sein scheinen, hier gänzlich weg. Eine Schachschaukampfarena in Meran, eine andere in Bangkok, ein Nachtclub, ein intimes kleines Café: Alles wird auf der gleichen, metallisch glitzernden Showtreppe gespielt, und da muss man ja schon wohl oder übel auf Texte, Geschichte und Musik achten.

Hierbei störte nun aber empfindlich, dass immer zwischen gesungenem Englisch und gesprochenem Deutsch hin und hergesprungen wurde. Und da die Grenzen zwischen Sprechgesang und Gerede oft diffus waren, folgte schon mal auf einen deutsche Frage eine englische Antwort, der dann wiederum mit einem Ausruf in deutsch entgegnet wurde. Das klang schon sehr bemüht und so verdreht, dass man schließlich auch mit guten Kenntnissen in beiden Sprachen nichts mehr verstand.

Musikalisch herrschte das vor, was Helmut Baumann, Hauptdarsteller des am Bremer Theater zu sehenden Musicals „Ein Käfig voller Narren“, treffend „musikalisches Gemüse“ nennt: Zu jeder Szene, zu jedem Gefühl musste unbedingt ein Lied daher, und auch die Abba-Macher können nicht so viel gute Popmusik nacheinander weg komponieren. Da blieben dann die beiden Welthits, aber die hatte man noch so gut in den Originalfassungen im Gedächtnis, dass die polnischen Sänger und das immerhin 17-köpfige Orchester sich noch so sehr bemühen konnten: sie klangen zwangsläufig „second-hand“.

Dramaturgisch wirkte das Stück arg zusammengebastelt: Etwa ein Drittel des gesamten Plots rast in einem Song am Publikum vorbei, und die Idee, dass die beiden Schachkontrahenten die gleiche Frau lieben, ist so originell nun auch nicht. Dazu ein wenig Ost-West-Problematik: Der freie Westen lockt den russischen Weltmeister undsoweiter. Das ist alles Instant-Dramaturgie, und die vielen polnischen MusicalistInnen auf der Bühne (alleine 17 TänzerInnen) konnten einem von Herzen dabei leidtun, wie sie sich anständig und grundsolide durch das Stück mühten. Der größte Teil des Publikums sah dies allerdings ganz anders und gab am Ende der Vorstellung „standing ovations“. Wilfried Hippen