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: Von zärtlichen Banden an Geldautomaten

Money, money, money

Wir haben drumherumgeredet, haben Ausflüchte gesucht, haben uns was vorgemacht, letztes Wochenende im sinnlosen Taumel zwischen Mud, Sunshine City und Dirt wurde es mir schmerzhaft bewusst. Das Ausgehen ist in der Krise. Nach der Krise des Erzählens, nach der Songkrise nun die Ausgehkrise. Aber der Reihe nach: Im Mud, einst ein Themenrestaurant Mittelalter, fand eine überfüllte Studenten- oder Abiparty, man kann es heutzutage ja gar nicht mehr unterscheiden, statt. Alles war falsch und schmerzte schlecht gelaunt, trotzdem quälte man sich weiter durch die Nacht. Erst ganz am Schluss, als man mit all denen, die man sowieso immer sieht, im Dirt um eine schmutzige Plastikplane herumstand, wurde es ein bisschen schön. „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“, dachte ich dankbar und erschrak.

Glück ist also, in einem Ladenlokal stehend zu beobachten, wie alle betrunkener werden, und sich selbst dabei immer wohliger-okayer zu fühlen? Ja. Trotz unserer durch ständige Bewusstseinsschocks hochgezüchteten großstädtischen Geschmacksverfeinerungen sind wir nämlich ganz einfach und groblöchrig gestrickt. Das beste Ausgeherlebnis seit langem hatte ich dann wenige Tage später im Bankautomatentempel der Sparkassenfiliale am Hackeschen Markt. Rein zufällig musste ich mit ein paar Freundinnen zwei Stunden in der Geldautomatenhalle verbringen, warum, tut hier nichts zur Sache. Zufällig hatten an diesem Abend die Automaten beschlossen, ihren Geist aufzugeben, und verweigerten die Zahlung.

Fassungslos standen die Mittemenschen mit ihren nutzlosen Plastikkarten vor den Schlitzmonitoren. Zuerst richteten sie sinnlos zerhackte Worte an sich selbst, dann schauten sie sich Hilfe suchend um, redeten mit anderen Automatenopfern, tauten auf. Immer mehr Leute kamen, stellten sich an, wurden enttäuscht.

Eine angeborene Hilfsbereitschaft und Menschenliebe gebot es mir, die Eintretenden über die Vergeblichkeit ihres Vorhabens zu informieren. Zumal einige bereits fünf Minuten Lebenszeit an den komplizierten Öffnungmechanismus der Eingangstür (Kontrollgesellschaft!) verschleudert hatten, hielt ich das für eine Pflicht. Die meisten glaubten mir nicht probierten alle fünf Automaten durch, die ganz peniblen auch noch vier Kontoauszugdrucker, und schlichen gesenkten Hauptes wieder hinaus. Andere stellten sich hin und warteten ab.

„Geld! Ich brauche Geld, was bin ich ohne Geld!“, entfuhr es einem in mitternachtsblaues Kammgarn gekleideten Old-Economy-Typen in gespielter Verzweiflung, Betroffene pflichteten ihm bei. Neuankömmlinge behaupteten, am Potsdamer Platz sei es ähnlich, die ganze Stadt sei ohne Geld. Hysterie und Verzweiflung mischten sich, Menschen sprachen in Zungen miteinander, philosophierten über Ökonomie, Glück und Leben, verfluchten das System und kamen sich näher. „So fangen Volksaufstände an!“, durchfuhr es mich, zugegebenermaßen etwas überstürzt, in vorrevolutionärer Erregung.

Die altmodisch-futuristischen Überwachungskameras gaben dem Szenario den Schmelz des Verbotenen – als stände in der Sparkassenordnung, dass man sein Geld ganz leise und heimlich abholen muss. Jedenfalls lag eine fröhlich-anarchistische 1.-Mai-Stimmung über dem Vorraum der Sparkassenfiliale. Eine Freundin tauschte Telefonnummern mit einem sympathisch wirkenden Slackertypen aus, eine zweite hatte sich schon für den nächsten Tag mit einem frisch kennen gelernten Künstler verabredet.

„Mein Gott“, dachte ich, und die dritte Freundin sprach es aus: „Wochenlang geht man aus, nix passiert, dabei ist es so einfach. Stell dich einfach zwei Stunden neben einen Geldautomaten!“ Warum auch nicht, wir leben in einer Warenwelt. Was liegt da näher, als neben der Geldmaschine die ersten zärtliche Bande zu knüpfen? Einer jungen HipHop-Gang verweigerte sich der Automat ebenfalls, zaghaft riefen sie provokante Worte in englischer Sprache in den Raum, bevor sie sich in jugendlicher Straßenbandenformation wieder die Rosenthaler Straße hinuntertrollten. Später wurde es noch fellinesk: Verrückte Clowns mit großen roten Nasen und lila Perücken stürmten in übertriebenen Zeitlupenbewegungen durch die Glastür. Crazy Berlin!, musste ich wieder ein ums andere Mal denken, und das Empfinden der Schönheit des Lebens in der Stadt rieselte mir angenehm den Rücken herunter. Nach einer Welle wurde es dann ein bisschen langweilig -keine Zigaretten, nichts zu trinken -, und wir gingen nach Hause. CHRISTIANE RÖSINGER