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: Ein Tag im Leben eines afghanischen Exilanten: „The Crossing“

Wem traurige Stimmungen näher sind als die Inferioritäten des üblichen Frohsinns, wer seelenvolle osteuropäische Stimmungen interessanter findet als den Aktionsoptimismus des amerikanischen Kinos etwa, in dem seit ein paar Jahren durchschnittlich mehr Leute erschossen als Zigaretten geraucht werden, sollte sich Nora Hoppes Film „The Crossing“ anschauen. Der erste lange Spielfilm der in New York geborenen Regisseurin, die in den USA und Surinam aufwuchs und in Berlin lebt, beschreibt ohne jede Rückblende einen Tag im Leben eines afghanischen Exilanten.

Er heißt Bâbak und lebt seit zwanzig Jahren in einer leicht heruntergekommenen Pension in Brüssel. Eines Morgens bekommt er Besuch von einem Fremden, einem Landsmann. Ein Reisender, mit spöttischem Blick und angeblich auf der Suche nach Verwandten, der sich, als sei es das Normalste von der Welt, neben ihn an den Küchentisch setzt und erst später seinen Namen – Sarban – nennen wird. Die beiden sitzen da, trinken Tee, rauchen, und Bâbaks Hände zittern.

Bâbak (gespielt von Behrouz Vossoughi, der im vorrevolutionären Iran ein großer Star war) ist arm und schweigsam, sein Gesicht zerfurcht und geschlagen vom Leben. Der andere spricht von Gerüchen und Geräuschen der Kindheit. Bâbak ist unruhig und möchte nichts von der Vergangenheit wissen. Nora Hoppes viersprachiger Film folgt einer klassischen Dramaturgie: Am Anfang steht die Frage nach Bâbaks Vergangenheit und warum seine Hände so zittern, am Ende wird sie beantwortet, und der Fremde scheint ganz Dostojewski-mäßig eine Projektion von Bâbak gewesen zu sein. Neben dem Mienenspiel der großartigen Schauspieler beeindrucken vor allem die oft seltsam weich gezeichneten Bilder, die von Fremdsein und von Heimweh erzählen – mit unaufdringlich inszenierten Räumen und Kameraeffekten, die entfernt an Tarkowski erinnern. „Von einer Brillenfabrik hatten wir uns vierzig verschiedene alte Brillenlinsen besorgt und probierten dann aus, was für Effekte wir mit der Kombination von Kameralise und einer davorgesetzten Glaslinse erreichen können“, erzählt die Regisseurin, die früher auch mit dem düsteren Alexander Sokurow zusammengearbeitet hat, und dass sie einmal auch eine alte zersprungene Glasscheibe benutzten, die sie während der Dreharbeiten gefunden hatten.

In der äußeren Handlung spricht Bâbak mit seiner Vermieterin, der er die Miete schuldet, sitzt am Bett von deren sterbenden Mutter, versucht Geld aufzutreiben. Scheu und fremd geht Bâbak durch die Stadt, die sein Besucher Sarban als Flaneur durchstreift. Verstockt und traurig schweigt der eine, während der andere von dem Echo spricht, das die Dinge der Vergangenheit in die Gegenwart werfen.

Immer unruhiger werdend, sitzt Bâbak am Abend in einem Café, in dem Landsleute verkehren. Jemand fragt ihn, ob heute nicht sein Geburtstag sei. Er verneint, und der andere beharrt darauf, und zwei Männer singen traurige Lieder, und man trinkt, und die einsamen Männer sind am Ende alle schläfrig hingesunken wie bei Kafka, und Bâbak geht zurück nach Haus in der Nacht und kehrt in seine Wohnung zurück, und der Fremde verarztet ihn und bedrängt ihn zu wiederholen, warum seine Hände immer so zittern und er sein Land verließ. Die Auflösung der Geschichte ist unsagbar düster; der Film von Nora Hoppe ist wunderschön. DETLEF KUHLBRODT

„The Crossing“. Regie: Nora Hoppe. Mit: Behrouz Vossoughi, Johan Leysen u. a. Niederlande, Deutschland, Dänemark, 1999, 90 Min.