„Die Fotografie ist ein großartiger Vorwand“

Seine Musikerporträts haben die Ikonographie des Pop geprägt: Der Fotograf Anton Corbijn hat Images gestaltet, nicht nur von Depeche Mode und U 2. Ein Gespräch mit dem Künstler über Imperfektion als Stilmittel, Tee trinken mit Stars, Arbeit für die Werbung und die fehlende Magie heutiger Prominenz

Interview MARCEL ANDERS

taz: Herr Corbijn, was fasziniert Sie mehr: die Fotografie oder die Musik?

Anton Corbijn: Die Musik. Aus der Fotografie an sich habe ich mir eigentlich nie etwas gemacht. Mit der Kamera meines Vaters habe ich angefangen, lokale Bands in Holland zu fotografieren. Ich war immer sehr schüchtern. Das gab mir eine Ausrede, auf Konzerten vor die Bühne zu gehen. Die Bilder habe ich dann an ein Magazin geschickt, und das hat sie dann gedruckt. In meinen Schulferien habe ich dann in der Fabrik gearbeitet, um mir meine eigene Kamera zu kaufen. Damals war ich so 16, 17 und wusste bereits, dass es das einzige ist, was ich im Leben machen möchte.

Bedauern Sie, dass Ihnen die Kunstakademie versagt blieb?

Als ich in Amsterdam und Breda wegen mangelnden Talents abgelehnt wurde, hat mich das schon geschmerzt. Aber dadurch bin ich erst zu dem geworden, der ich heute bin. Meine Ausbildung bestand darin, Fotos für Musikmagazine anzufertigen. In Holland gibt man dir immer nur fünf Minuten Zeit. So habe ich gelernt, selbst in langweiligen Hotelzimmern klarzukommen.

Ist Ihnen die Wahl der Location wichtig?

Nicht wirklich. Für normale Fototermine schaue ich mir lediglich die unmittelbare Umgebung an, in der sich mein „Kunde“ gerade aufhält. Das funktioniert. Wenn ich einen wichtigen Auftrag habe, suche ich natürlich etwas intensiver. Etwa, als es um die Plattencover für U 2-Alben wie „Joshua Tree“ oder „Achtung Baby“ ging. Ich bin kein Fan von Studio-Shots – ich mag es lieber, draußen zu fotografieren.

Was macht ein Anton-Corbijn-Foto aus?

Mir war es immer wichtig, dass meinen Bildern etwas nicht Perfektes anhaftet. Ich habe mir erlaubt, Fehler zu machen, und das in aller Öffentlichkeit (lacht). Aus Mangel an anderen Bezeichnungen nennt man das heute meinen Stil. Einige meiner Bilder hätte ich sicher ruiniert, wenn ich alles richtig gemacht hätte. Dabei bin ich technisch viel beschlagener, als manche Leute glauben.

Sie sind 45. Können sie mit der heutigen Musik überhaupt noch etwas anfangen?

(lacht) Ich gehe nicht oft in Clubs, höre aber viele Platten. Ich kenne vielleicht nicht die neuesten House- oder HipHop-Sachen. Aber ich hänge auch nicht an einer bestimmten Periode.

Ihre Motive verraten aber gewisse Vorlieben. So haben Sie kaum Rapper porträtiert, auch keine Teenie-Bands . . .

Teenie-Bands interessieren mich einfach nicht – da ist keine Magie drin. Das geht mir sogar mit Robbie Williams noch so. Er ist ein guter Handwerker. Aber er hat keine Magie. Ich versuche immer, in den Leuten etwas mehr zu finden als das, was man auf den ersten Blick sieht.

Wonach wählen Sie denn aus, wen Sie porträtieren?

Es gibt Leute, die sind vom visuellen Standpunkt aus betrachtet interessant. Und es gibt Leute, die ich gerne treffen möchte, aus einer grundlegenden Neugierde heraus: Wie reagieren sie, wie funktionieren sie? Die Fotografie ist ein großartiger Vorwand, um Menschen wie William Burroughs, Allen Ginsberg oder Stephen Hawking kennen zu lernen.

Das ist es, was ich daran mag: Du verlässt morgens mit deiner Kamera das Haus, trinkst eine Tasse Tee mit jemandem und kommst mit einem Foto nach Hause. Ich denke, das ist eine schöne Art der Begegnung.

Gibt es Situationen, in denen Sie mit Ihren Klienten gar nicht klarkommen?

Das passiert immer wieder. Die Leute sind nie so wild darauf, außergewöhnliche Sachen zu machen, weil sie ja nicht wissen, wie es dann aussehen wird. Man muss sie überreden, sich darauf einzulassen. Als ich noch nicht so bekannt war, war das natürlich schwerer.

Es reicht nicht aus, nette Ideen zu haben – du musst sie auch umsetzen können. Das ist ein Teil der Kunst. Und der Grund, warum etwa Annie Leibowitz so erfolgreich ist. Sie ist unheimlich geschickt darin, die Leute dahin zu bringen, genau das tun, was ihr vorschwebt.

Sie lichten viele Prominente so ab, dass man sie kaum wieder erkennt. Warum?

Das ist alles eine Frage der Erwartungen. Die Leute erwarten ja von mir, dass ich Dinge tue, die andere nicht machen. Von Michael Stipe gibt es etwa dieses großartige Bild, wie er unter der Dusche steht und man nur sein Profil erkennt. Das ist der Vorteil, wenn man mit berühmten Leuten arbeitet: Man muss sie nicht vorstellen. Es gibt eine öffentliche Wahrnehmung, die man entweder konterkarieren oder auf die Spitze treiben kann. Sonst hat ein Foto doch keine Funktion: Wozu ein Bild machen, das die Leute bereits kennen?

Von Luciano Pavarotti gibt es ein Bild, auf dem er wie ein Besessener in die Kamera starrt . . .

Ich habe ihn in der Oper gesehen und gedacht: „Mein Gott, dieser Typ hat eine unglaublich dunkle Seite.“ Aber in all den Bildern, die man sonst von ihm sieht, trägt er einen kleinen Hut und bunte Hawaiihemden. Ich habe ihm nahe gelegt, es mal mit einem schwarzen Shirt und ein wenig Make-up zu versuchen.

Bei Henry Rollins oder Nick Cave ist die dunkle Seite offensichtlicher?

Henry Rollins ist nur halb so intensiv, wie er sich gerne gibt. Er redet einfach unheimlich viel. Deswegen ist das Bild, das ich von ihm gemacht habe, auch eher lustig: weil es eine vorgetäuschte Intensität vermittelt. Nick Cave ist da schon etwas anders. Er wird immer als dieser Drogentyp gesehen. Deshalb habe ich ihn gebeten, sich einen falschen Schnurbart anzukleben – ich wollte mehr so seine Zuhälterseite ausspielen. Und so sieht er auf dem Foto auch aus: Immer noch düster, aber auch sexy und ironisch.

Was macht gerade U 2, insbesondere Bono, zu einem ihrer Lieblingsmotive?

In den Jahren, die wir zusammenarbeiten, hat er sich vor der Kamera unglaublich verändert und mit ihm meine Fotografie. Anfangs war sie noch sehr dokumentarisch. Mit der Zeit habe ich angefangen, mit den Bildern zu spielen, und er mit seinem Image. Einer der Gründe, warum ich so gern mit ihm arbeite, ist seine Risikobereitschaft. Für eine Session mit mir hat er sich sogar die Haare abrasiert, um auszusehen wie Travis Bickle, der Typ aus „Taxi Driver“. Finde mal jemanden in seiner Position, der das mitmacht. Die kannst du an zwei Fingern abzählen.

Wie U 2, sind auch Sie den Weg vom Gegenmodell zum Markenzeichen gegangen. Heute arbeiten Sie für Nike und BMW. Was ist von der Underground-Idee geblieben?

Ich habe mich jahrelang geweigert, für irgendetwas Werbung zu machen. Als ich mich das erste Mal darauf einließ, fand ich es furchtbar. Eine gewisse Underground-Einstellung habe ich aber definitiv beibehalten. Mir ist wichtig, dass ich tun und lassen kann, was ich will, wie etwa bei der BMW-Kampagne.

Je nach Land gibt es da große Unterschiede: Deutsche Firmen etwa wollen alles im Vorfeld bis ins Kleinste ausgearbeitet wissen. Sie halten endlose Meetings ab und trinken dabei Unmengen von Kaffee, schrecklich. Ich erinnere mich noch an das Theater, als ich einmal Kate Moss für eine Kampagne wollte und die Werbemanager hatten noch nie von ihr gehört. Ich musste regelrecht kämpfen, um sie durchzuboxen.

In Skandinavien war das Ganze viel unkomplizierter. Es gab kein einziges Meeting, man hat mich einfach machen lassen.

Eine Band, deren Image Sie maßgeblich geprägt haben, ist Depeche Mode. Für die haben Sie nicht nur Fotos geschossen, sondern auch Videos gedreht und das Bühnendesign entworfen. Dabei haben Sie die Gruppe anfangs gar nicht gemocht . . .

Ich habe ihr Potenzial nicht erkannt. Zu jener Zeit galten sie ja noch als Teenie-Popband. Nach mehreren Videoclips für sie habe ich dann aber nach und nach alle Fotoarbeiten übernommen, die Singles- und Plattencover designed und die Bühnendekoration entwickelt. Ich bin dadurch sehr wichtig für ihre öffentliche Wahrnehmung gewesen, mehr noch als für U2. Zwischenzeitlich habe ich sogar die T-Shirts designed.

Ich wollte Depeche Mode immer mit einem bestimmten Gefühl verbunden sehen. Ihre Plattenhüllen empfand ich immer als zu entrückt, als sei da gar kein Gefühl dahinter. Ich habe ihnen mehr Emotion gegeben und sie dadurch lebendiger gemacht.

Auch heute versuche ich, mit meinen Fotos die Leute so zu zeigen, wie sie sind. So wie die Bilder für das letzte U 2-Album, die auf dem Flughafen von Paris entstanden. U 2 zählen heute zum Jetset: Sie besitzen Häuser weltweit, Flugzeuge, sie reisen viel.

Trotzdem sind Ihre Bilder stets Inszenierungen. Hat Brian Eno Sie deswegen einmal als „besten Lügner der Welt“ bezeichnet?

Ich denke, dass die Vorstellung, ein geradeheraus geschossenes Bild reflektiere irgendeine Wahrheit, nicht gültig ist. Der Standpunkt des Betrachters spielt immer hinein: Schon allein beim Fassen des Rahmens oder bei der Wahl der Perspektive schließt man ja alles andere aus. Man zeigt immer nur einen gewissen Ausschnitt. Objektivität existiert nicht.

Ich habe immer gern Situationen nachgestellt – etwa so, als würde man als Paparazzo heimlich auf einem Filmset fotografieren. Ich halte es für etwas sehr Schönes, Leute dann abzulichten, wenn es ihnen gar nicht bewusst ist. Aber das ist leider zu dieser fürchterlichen Paparazzi-Sache verkommen, wo es nur darum geht, ein möglichst großes Objektiv zu haben.

Ich glaube allerdings auch nicht an die Charakterstudien, wie sie große US-Fotografen gerne machen: Das wirkt so falsch. Trotzdem sagen sie: „Das ist die Realität.“ Blödsinn. Denn wie soll jemand natürlich und entspannt aussehen, wenn es zwanzig Leute braucht, um ihn überhaupt in diese Pose zu bringen?

Was ist die Idee hinter Ihrer jüngsten Serie stilisierter Prominentenporträts, die Sie „Fake Documentaries“ nennen?

Als ich aufwuchs, hielt ich die Welt da draußen, wie sie nicht zuletzt von Prominenten verkörpert wurde, für etwas ungemein Spannendes. Doch mittlerweile wimmelt es überall nur so von Prominenten: in Magazinen, im Fernsehen und in der Werbung. Sie sind zum Klischee verkommen und bemühen alle dieselben Posen. Das sieht für mich heute nicht mehr nach einer interessanten Welt aus.

Mit meiner „Fake Documentary“-Serie versuche ich, einen Teil des früheren Glanzes zurückzuholen. Es soll so aussehen, als hätten die Abgebildeten ein aufregendes Leben. Ich wollte Fotos machen, die vorgeben, etwas mit dem Leben der dargestellten Personen zu tun zu haben. Was natürlich nicht so ist: Sie sind genau so falsch wie alles andere, was man in den Magazinen sieht. Aber wenn ich lüge, dann nur, um Leute interessanter zu machen.