Protest gegen Gesetz zur Entschädigung

Chef der Jüdischen Gemeinde Wiens verweigert Unterschrift. Geraubtes Gut soll in bestimmten Fällen Staat zufallen

WIEN taz ■ Es sollte ein Höhepunkt des ersten Jahres der Wenderegierung werden. Als eines von ganz wenigen Gesetzen wurde am Mittwoch die Einigung über die Entschädigung für Opfer der so genannten Arisierung einstimmig beschlossen. Die Feierstimmung wurde der Regierung aber durch eine polternde Erklärung des Präsidenten der israelitischen Kultusgemeinde vermiest. Ariel Muzicant verweigerte seine Unterschrift: „Der Staat hält Vermögen, von dem jüdisches Blut trieft.“

Muzicant hatte die Einigung, die Mitte Januar in Washington von Österreichs Sonderbotschafter Ernst Sucharipa, dem damaligen US-Vizefinanzminister Stuart Eizenstat und Vertretern der Opferverbände ausgehandelt worden war, für gerade noch vertretbar gehalten. Staat und Wirtschaft wollen Entschädigungen Höhe von 5,27 Milliarden Schilling zahlen. Mit der Naturalrestitution und einem Sozialpaket macht das sieben Milliarden Schilling (eine Milliarde Mark).

Muzicants Zweifel hätten vergangenen Dienstag im Verfassungsausschuss des Nationalrates bereinigt werden können. Die Opposition hatte ihn und andere Opfervertreter eingeladen. Auf Intervention der ÖVP wurden sie ausgeladen. Muzicant erklärte, er hätte den Eindruck, „der eine oder andere kehrt die Herrenrasse hervor und erklärt den Opfervertretern, wo es langgeht.“ Sein Misstrauen sei bestätigt worden. Man hätte die Einigung so abgeändert, dass geraubte Güter, für die weder Eigentümer noch deren Erben gefunden werden können, an den Staat fallen.

In Deutschland und den Niederlanden gingen derartige Güter an die jeweilige Kultusgemeinde. Dies sei auf Druck der FPÖ modifiziert worden. Außerdem betreffe die Einigung nur den Bund. Länder und Gemeinden werden nicht zur Restitution verpflichtet. Sonderbotschafter Ernst Sucharipa bestreitet diese Version, und Moshe Jahoda, Vertreter der Claims Conference in Wien, sieht keinen Grund, seine Zustimmung zurückzunehmen.

Muzicants Verweigerungshaltung wird daher zunächst auf die Wirksamkeit des Abkommens keine Auswirkungen haben. Die US-Regierung hat in einem letter of interest bekundet, dass sie keine weiteren Forderungen gegen Österreich unterstützen werde. Muzicant will dennoch nicht ausschließen, dass „hunderte Opfer Klagen einbringen“.

Kanzler Schüssel zeigte sich unbeeindruckt, versuchte aber vor dem Parlament die angemessene Demut an den Tag zu legen. „Wir handeln spät, für viele Opfer allzu spät ... Kein Geld kann ersetzen, was Menschen in der NS-Zeit geraubt worden ist.“ Die Grüne Madeleine Petrovic zieh die Regierung zwar des Zynismus, weil sie die Opfervertreter aus dem Ausschuss ausgeladen habe, doch zog auch die Partei ihre Zustimmung zu dem Gesetz, das die Restitutionseinigung erst durchführbar macht, nicht zurück. RALF LEONHARD