Banges Zittern vor der Landung

Im Wahlkampf schüttelten amerikanische Finanzexperten noch die Köpfe über George W. Bushs Steuersenkungspläne. Jetzt schütteln sie ihm die Hand

aus New York NICOLA LIEBERT

Wie schnell sich der Wind gedreht hat. Aus dem Land des scheinbar unbegrenzten Wirtschaftsbooms kommen im Moment vor allem Nachrichten über Entlassungen. DaimlerChrysler baut 26.000 Stellen ab, Telekommunikationsausrüster Lucent Technologies plant, 16.000 Jobs zu streichen, Haushaltsgerätehersteller Whirlpool 6.000 und die Warenhauskette J. C. Penney 5.300 Leute hinauswerfen.

Noch im Dezember hatte die Notenbank Fed betont, dass die US-Wirtschaft eher von Inflation als von Rezession bedroht sei. Jetzt senkte sie schon zum zweiten Mal innerhalb eines Monats die Zinsen, jeweils gleich um einen halben Prozentpunkt. Vergangene Woche hatte Notenbankchef Alan Greenspan vor dem Senat gesagt, das Wachstum der US-Wirtschaft sei „wahrscheinlich sehr nahe an null“. Schafft Greenspan die erhoffte sanfte Landung?

Eine Rezession ist ein Rückgang der Wirtschaftsleistung über mindestens zwei Quartale. Noch aber wächst die US-Wirtschaft, wenn auch nicht mehr im Schwindel erregenden Tempo von 8,3 Prozent wie im vierten Quartal 1999. Im vergangenen Quartal betrug die Wachstumsrate nur noch 1,4 Prozent.

Ob nun auf die Verlangsamung eine Rezession folgt, wird stark davon abhängen, wie die Verbraucher reagieren. Zu rund zwei Dritteln wurde das Wirtschaftswachstum in den USA durch den privaten Konsum getragen. „Die entscheidende Frage ist nun, ob die konjunkturelle Abschwächung das Vertrauen der Verbraucher unterminiert“, sagte Greenspan bei dem Hearing. „Derzeit ist es noch nicht der Fall.“ Im vergangenen Quartal nahm der Konsum im Vergleich zum Vorjahr noch um 2,9 Prozent zu. Im Dreimonatsabschnitt zuvor hatte der Zuwachs noch 4,5 Prozent betragen. Der am Dienstag veröffentlichte Index des Verbrauchervertrauens, gibt wenig Anlass zu Optimismus. Das Stimmungsbarometer ist demnach im letzten Jahr um 20 Prozent gefallen. Im Vorfeld der letzten Rezession 1990/91 war der Index nur um 15 Prozent gesunken.

Aber die Konjunkturdaten sind nicht einheitlich. Im Januar ist trotz aller Entlassungsmeldungen die Zahl der Anträge auf Arbeitslosengeld zurückgegangen. Die Arbeitslosenrate steht weiterhin bei sensationell niedrigen 4 Prozent. Noch melden Arbeitgeber in vielen Regionen einen Mangel an Arbeitskräften. Doch zeigt die Erfahrung der letzten Rezession, dass die Arbeitslosigkeit erst dann zu steigen beginnt, wenn die Wirtschaft schon längst in der Krise ist.

Solange die meisten Amerikaner noch Arbeit haben, wird die Nachfrage kaum sinken, hoffen die einen. Die anderen halten dagegen, dass die Konsumneigung in den vergangenen Jahren nur deswegen so überschäumend war, weil die immer weiter steigenden Aktienkurse so vielen das Gefühl von Reichtum vermittelten. Damit ist es jetzt vorbei. Seit dem Höchststand im vergangenen Frühjahr ist der Dow-Jones-Aktienindex um gut 10 Prozent gefallen; an der Technologiebörse Nasdaq war der Absturz mit 45 Prozent noch steiler. Jetzt erscheint auf einmal das Ausmaß, in dem sich viele amerikanischen Haushalte verschuldet haben, als Bedrohung für die wirtschaftliche Stabilität.

Auf der Unternehmensseite scheint vor allem in der Industrie der Abschwung schon begonnen zu haben. Gegenüber dem dritten Quartal schrumpfte im vierten das Industrie-Output um 2,1 Prozent. „Das Ausmaß des Einbruchs war größer, als wir erwartet hatten“, gab der Chef des Mischkonzerns Minnesota Mining and Manufacturing, James McNerney, zu. Was hat den Boom abgewürgt? Vermutlich ist es eine Kombination von Faktoren: die Serie von Zinserhöhungen, mit denen die Fed im vergangenen Jahr die überhitzte Konjunktur abzukühlen versuchte, der hohe Dollarkurs, unter dem die Exporteure leiden, und der plötzliche Anflug von Realitätssinn an der Wall Street, der vor allem die Kurse der verlustreichen Internetfirmen einbrechen ließ.

Für George W. Bush kommt der Abschwung wie ein Geschenk des Himmels. Die meisten Wirtschaftsexperten und viele Politiker hatten die Köpfe geschüttelt, als Bush während des Wahlkampfs stets auf seinen Steuersenkungsplänen herumritt. Jetzt sind auch viele der oppositionellen Demokraten für eine Steuerreform.

Wie sich die Wirtschaft nun weiter entwickelt, dürfte jedoch wesentlich mehr von Greenspan als von Bush beeinflusst werden. Denn die Steuersenkungen treten frühestens im kommenden Jahr in Kraft, während die Zinssenkung sofort wirken kann. Zwar dauert es etwa sechs Monate, bis sich niedrigere Zinsen auf der Produktionsebene niederschlagen. Aber auf die Nachfrage kann der Schritt theoretisch schon heute Einfluss haben. Wenn nämlich in Erwartung einer Erholung die Aktienkurse wieder anziehen, dann tritt der „Reichtumseffekt“ der Börse wieder ein. Das heißt das von den Verbrauchern getragene Wirtschaftswunder könnte in die nächste Runde gehen.