Realismus unter Kohlenarbeitern

Das Metropolis zeigt ab heute eine Reihe von Filmen des britischen Amber Kollektivs  ■ Von Pamela Jahn

Eine englische Landschaft im Herbst. Ein Jahr ist fast vorbei. Der Film auch. Ein letztes Mal schwenkt die Kamera noch über die blassgrünen Wiesen und sanften Hügel – ein vergessenes Idyll irgendwo im rauen Nordosten Englands.

Es ist ein Zufluchtsort für Aussteiger, Absteiger und solche, die erst gar nicht versucht haben, ihr kleines Glück irgendwo anders im ehemaligen Schwerindustriegebiet zwischen Manchester und der schottischen Grenze zu finden, um dort ein meist ähnlich tristes Dasein zu fristen: eine stillgelegte Gesellschaft. Eden Valley heißt der Schauplatz, an dem man in gut anderthalb Stunden auch die drei anderen Jahreszeiten durchlebt hat, erst leicht fröstelnd von der eisigen Gewalt eines Schneesturms, später ergriffen von den ungewöhnlich intensiv schillernden Farben eines Sommerregenbogens. Der gleichnamige Film ist eine Produktion des britischen Amber Filmkollektivs, dem das Metropolis derzeit eine kleine Werkschau widmet.

Amber gründete sich 1968 als lose Gruppe junger Film- und Fotoabsolventen der Londoner Filmschool. Nichtkommerzieller Vertrieb, unabhängige Produktion bildeten den Rahmen, working class people rund um Newcastle waren das Thema ihrer umfassenden Arbeiten, von Dokumentation über Spiel- und Kurzfilm bis hin zu Fotoausstellungen. „Wir brauchen ungefähr drei Jahre, um ein Projekt zu beenden“, erzählt die ehemalige Sozialarbeiterin Pat McCarthy, die seit 16 Jahren für Amber arbeitet: „Die Filme stehen für eine konsequente Art des politischen Films. Sie sind das Resultat einer jahrelangen Zusammenarbeit unserer Mitglieder und Schauspieler mit den Gemeinden, in denen wir leben und arbeiten.“

Auf diese Weise entsteht in den Filmen eine Wirklichkeitsnähe, die über simplen Realismus hinausgeht. Eden Valley, 1994 abgedreht, ist so ein Film. Gemeinsam mit dem jungen Raver Billy, der im Rahmen einer Bewährungsstrafe zu seinem Vater aufs Land geschickt wird, versucht man sich auf sonderbare Weise selbst mit den Verhältnissen, der alltäglichen Monotonie sowie dem erdrückenden Gefühl der Einsamkeit zu arrangieren, die ein Leben an diesem trostlosen Fleckchen Erde vermittelt. Während der Vater sich draußen im eisigsten Schneesturm für seine geliebten Pferde quält, beobachtet Billy das Geschehen teilnahmslos durch die vereisten Fenster des Wohnwagens, in dem der Vater seit zehn Jahren lebt.

Wenn er genug hat vom „Dort-sein“, zieht Billy sich mit Walkman und harten Beats innerlich in seine alte Welt zurück – ein Leben im städtischen Sozialbau. Zu sagen haben sich Vater und Sohn nach zehnjähriger Trennung schließlich auch nicht viel. Nichts scheint dem Sohn ferner zu liegen als die einzige große Leidenschaft des Vaters: das Trabrennen.

Ein Winter und ein Frühling müssen vergehen, bis die beiden endlich einander näher kommen: „Um Billys Einführung in die Umgebung zu zeigen, wurde der Film nach und nach, über einen Zeitraum von zwölf Monaten aufgenommen“, erinnert sich im Nachhinein Pat McCarthy, die an dem Film als Produzentin mitgearbeitet hat.

Neben den Schauspielern vom Amber Kollektiv sind in Eden Valley Menschen aus der Region zu sehen, die sich selbst spielen. Und das gilt für nahezu alle Filme von Amber. Für Sea Coal (1985) zum Beispiel lebten die Filmemacher zwei Jahre unter den Leuten, die man dort „seacoaler“ nennt, weil sie am Strand angeschwemmte Kohle aus dem Sand sieben. Währenddessen entstand in absichtsvoller Vermischung von Dokumentarischem und Fiktionalem eine knapp abendfüllende Episode aus dem Alltag der „seacoaler“.

Ihrem selbst formuliertem Dogma, unabhängige Filme für die Arbeiterklasse zu drehen, sind die derzeit sechs Amber-Mitglieder dann auch bis heute treu geblieben. Im Feature The Scar (1997) geht es um die Folgen des Minenarbeiterstreiks von 1984, abgelesen an der Enttäuschung einer ehemaligen Aktivistin.

Den Amber-Filmen ist ein Realismus eingeschrieben, der nicht zuletzt auch an die ureigenste Tradition des sozial engagierten britischen Dokumentarfilms der 30er-Jahre anknüpft und der sich zudem in heutigen britischen Produktionen wie Ganz oder gar nicht oder zuletzt Billy Elliot wieder findet.

Seacoal: morgen, 20 Uhr, 5.2., 17 Uhr, 6.2., 19.30 Uhr, 7.2., 21.30 Uhr, Metropolis; außerdem: Dream On (10.-14.2.), The Scar (18.-21.2.), Eden Valley (20.-24.2.), In Fading Light (25.-27.2.), Byker, The Writing in the Sand (8.+11.2.), T. Dan Smith (15.+17.2.)und Amber Kurzfilme (14.+15.2.)