Der Horror im Traumhaus

■ Das Nervengift Lindan – einst in Holzschutzmittel – hat eine Findorffer Familie heimatlos gemacht. Die Vorbesitzer haften nicht. Es bleiben hohe Sanierungskosten

Für Finn Noweck trägt Horror den Namen Lindan. Seit das Bremer Umweltinstitut festgestellt hat, dass sein Kinderzimmer mit dem Nervengift Lindan verseucht und auch der Rest seines Elternhauses vergiftet ist, ist der Neunjährige heimatlos. Seine Eltern haben ihn geschnappt und ihr Altbremer Haus, das sie erst vor fünfeinhalb Jahren gekauft haben, sofort verlassen. Sie führen den hohen Giftgehalt im Haus – und Finns schlimmer werdendes Asthma – auf Holzschutzmittel zurück, mit dem die Vorbesitzer das tragende Gebälk des Hauses einst gegen Holzbock behandelt haben. Jetzt wohnt die dreiköpfige Familie ein paar Straßen weiter zur Miete – während die Raten für den Abtrag des ehemaligen Traumhauses weiter laufen.

„Das Schlimmste ist: Kein Mensch ist für sowas zuständig“, sagt Finns Mutter, Regine Noweck. Von einer Klage gegen die Vorbesitzer hat ihr Anwalt abgeraten, obwohl die Nowecks den verdeckten Mangel – „man sieht es nicht, man riecht es nicht“ – erkannt haben, bevor die gesetzliche Fünf-Jahres-Frist um war. Aber der Prozess wäre teuer und riskant. „Wir hätten nur Aussicht auf Erfolg, wenn wir beweisen könnten, dass die Leute vom Gift wussten und es uns böswillig verschwiegen haben.“ Und dass der Hersteller des Gifts haften müsste – das glauben die Nowecks schon gar nicht. „Bei der Selbsthilfegruppe der Holzschutzmittelgeschädigten wurde uns gesagt, so einen Prozess hat noch niemand gewonnen.“ Es sei wohl aussichtslos, die verstärkten Asthmaanfälle des Sohnes mit dem Gift in eindeutigen Zusammenhang zu bringen. Auch deshalb gehen die Nowecks an die Öffentlichkeit. „Wir glauben, Holzschutzmittel betreffen viele. Auch wir hatten uns über solche Gefahren keine Gedanken gemacht, bis es uns getroffen hat.“

Dass es zahlreiche Holzschutzmittel-verseuchte Häuser gibt, glaubt auch der Chemiker Christian Zorn vom Bremer Umweltinstitut. Nach seiner Meinung ist vor allem das Gebälk der Dachstühle betroffen – zumal bis vor rund 20 Jahren noch gesetzlich vorgeschrieben war, die tragenden Teile des Hauses zu schützen. „Und in den alten Mitteln war immer Lindan.“ Entsprechend oft ergeben Holzuntersuchungen, die sein Institut durchführt, Belastungen. „Selten so schlimm wie bei den Nowecks – aber oft schlimm genug, dass wir zum Handeln raten.“

Mietern fällt die Entscheidung oft leichter. „Viele ziehen aus.“ Hauseigentümern geht es anders. „Rund zehn Prozent sanieren“, schätzt Zorn. Weitere 20 Prozent nehmen so genannte Minderungsmaßnahmen vor. „Die Frage ist: Wie viel lasse ich mir meine Gesundheit kosten“, sagt der Umweltberater. Wer sich allerdings an seine Sanierungsratschläge hält, weiß er nicht genau. „Uns haben viele Freunde geraten zu schweigen und das Haus schnell zu verkaufen“, berichtet Regine Noweck. Sie gibt zu: „Dieser Gedanke war eine Versuchung.“ Aber das Gewissen stand im Weg – obwohl vielleicht weniger Probleme hat, wer die Verseuchung verheimlicht.

Das Haus der Familie in der Geibelstraße ist – spätestens wenn es jetzt in der Zeitung steht – so gut wie unverkäuflich. „Die mit dem Insektengift Lindan verseuchten Balken müssen ganz entfernt werden“, sagen Experten. Das dauert und kostet. Denn eine Teilsanierung, bei der Folien gezogen und das Gift versiegelt würde, ist wegen der Schwere der Vergiftung so gut wie ausgeschlossen.

Rund 150.000 Mark wird die Baumaßnahme schlucken. Geld, das das Lehrerpaar eigentlich nicht hat, nachdem das Haus schon 400.000 Mark kostete. „Und niemand gibt uns einen günstigen Kredit“, klagt Regine Noweck. Auch die Rechnungen für die Raumluftuntersuchungen über rund 8.000 Mark zahlte die Familie alleine. „Krankenkassen dürfen das nicht“ , heißt es bei der Barmer Ersatzkasse. Die ärztliche Verschreibung mache da keinen Unterschied. Den Traum vom eigenen Haus hatten Nowecks sich ganz anders vorgestellt.

„Das Schöne an diesem Häuschen war ja, dass es so liebevoll renoviert und mit Holz ausgebaut war“, sagt Finns 37-jährige Mutter. Deswegen hatten sie und ihr Mann sich ja dafür entschieden. Denn mit Allergien und empfindlicher Haut hatte ihr Sohn schon als Baby zu tun. Im eigenen Haus, ohne Teppiche aber mit Holzböden, sollte alles besser werden. Erst als sich die Krankheit so verschlimmerte, dass ihr allergieanfälliger Finn auf den Matratzen im Schullandheim besser schlief als zu Hause, ging den Eltern ein Licht auf.

Heute wissen sie: Der ärztliche Rat, dem Heuschnupfen durch nächtliches Fensterschließen vorzubeugen, war Schuld. „Die Balken waren so von Holzschutzmittel getränkt, dass die Rigips-Decke braune Flecke hatte.“ Darunter lag jahrelang der kleine Finn auf seinem Hochbett – das er freiwillig nie verlassen hätte. Schon gar nicht für das Campingbett, auf dem er jetzt schlafen muss. ede