Aus Liebe zum Text

Der Galerist Rainer Borgemeister suchte nach einer Kunst, welche die Welt ein wenig lesbarer macht. Ein Nachruf

An der Wand hing ein Kommentar: „LEBEN OHNE ARBEIT/ Ist die künstlerische Vision so eng, daß/ sie sich allein mit einem Künstlerleben/ abgibt/ oder ist sie – von einer künstlerischen/ Position aus – beschäftigt mit einem all-/ gemeinen Problem unserer Welt?“ Der Text bezog sich nur am Rande auf die elektronisch blitzende Installation von Andreas Ginkel, die 1992 in der Kreuzberger Wohnung von Rainer Borgemeister ausgestellt war. Doch in diesem Fall trafen tatsächlich die Interessen von Künstler und Galerist zusammen: Beide suchten nicht nach der Idee, sondern nach dem Leben hinter der Kunst.

Für den 1953 geborenen Borgemeister waren Prinzipien allerdings genauso wichtig wie der Ausdruck. Daher kam seine Nähe zu Joseph Beuys: Zwischen 1979 und 1982 führte er mit Ulrike Grossarth und anderen in Essen die Freie Internationale Universität weiter, die Beuys 1977 auf der documenta VI gegründet hatte. Zugleich war Borgemeister skeptisch gegenüber dem Totalanspruch des erweiterten Kunstbegriffs, dem Beuysschen Ausufern der sozialen Plastik in alle Lebenszusammenhänge. Statt zu polarisieren, setzte er auf Vermittlung und wurde Galerist: Erst als Mitarbeiter des Kölner Kunsthändlers Onnasch, später mit eigenem Schauraum bei sich zu Hause. Schließlich eröffnete er 1996 in Gemeinschaft mit Inga Kondeyne eine Galerie in den Hackeschen Höfen.

Die KünstlerInnen, die er dort ausstellte, standen wiederum quer zum Boom junger Kunst in Mitte. Und er selbst wirkte mit seinen zurückgekämmten halblangen Haaren und seinem angenehm surrenden Ruhrgebietssound in der Stimme unzeitgemäß zwischen lauter adretten Kreativen.

Tatsächlich interessierte sich Borgemeister für Pop nur als Zeichen – aber in einem ganz konkreten Sinn. Wenn er Arbeiten von Remy Zaugg, Marcel Broodthaers oder Susanne Weihrich zeigte, dann wurde stets klar, wie eng für ihn Wörter und Bilder mit der Welt verbunden waren: Alles lesbar machen, diesen Satz hätte Borgemeister sicher unterschrieben. Aus dieser Liebe zum Text kümmerte er sich zuletzt vor allem um Kunst, die sich mit den Möglichkeiten am Computer beschäftigt. Es wäre ausbaufähig gewesen: als Idee und als Programm. Nun ist er vergangenes Wochenende mit dem Auto tödlich verunglückt.HARALD FRICKE