Zu wenig Platz im Cyberspace

Die Software formt das Soziale: Das Medienkunstfestival transmediale verlagert seinen Fokus von der Videokunst zu Fragen der Medienkultur. Ihr Leiter Andreas Broeckmann setzt auf Partizipation

von CHRISTIANE KÜHL

Die aktuelle Science-Fiction hängt der Zeit hinterher. Besonders hoffnungslos in ihrer Hollywood-Variante: „The Matrix“, „The Cell“ – eindimensionale Machwerke mit einschüchternd aufregenden Simulationsfantasien, als wären Baudrillard und William Gibson gerade gestern auf den Markt gekommen und wir befänden uns mitten in den glitzernden Achtzigerjahren. „Der populärkulturelle Diskurs ist dem Cyberpunk verhaftet, obwohl die Euphorie längst vorbei ist. Der Cyberspace ist viel kleiner, als man dachte. Die neuen Grenzen liegen bei der Biotechnologie.“ In den digitalen Technologien, so Andreas Broeckmann, neuer Leiter der transmediale, hat sich ein Blickwechsel vollzogen: von den virtuellen Wirklichkeiten zur praktischen Wirksamkeit.

Die Schnittstellen von elektronischen, künstlerischen und sozialen Prozessen stehen im Mittelpunkt der diesjährigen transmediale. Das Medienkunstfestival, das 1987 als Videofest begann und bis 2000 vom Gründungsmitglied Micky Kwella geleitet wurde, hat sich mit dem 36-jährigen Broeckmann einen Aktivisten und Netzwerker ins Podewil geholt. Produzieren!, Teilnehmen!, Aneignen!, Distribuieren! lauten die Stichworte, die gemeinsam das Thema der transmediale.01 ergeben: „DIY [do it yourself!]“. Von emanzipatorischen Tendenzen, sogar einer „neuen Kultur des Selbermachens“ ist im fotokopierten Katalogheft die Rede. Ein großer Begriff für eine noch immer marginalisierte Kunst, den Broeckmann im Gespräch gerne grinsend als „strategischen Optimismus“ relativiert. Die Potenziale der elektronischen Medien bezweifelt er jedoch nicht. Nur müssen sie genutzt werden. „Unsere Aufgabe ist es, Aufmerksamkeit für Strukturen zu schaffen. Und für Vielfalt. Wir versuchen, ein deutliches Statement zu machen, wie man über neue Technologien nachdenken sollte.“

Unter seiner Leitung soll sich die transmediale weiter von der Videokunst weg hin zur Medienkultur und der Diskussion ihres gesellschaftlichen Umfelds bewegen. Ziel ist, die transmediale zu einer Vernetzungsinstanz in der Stadt zu machen; eine Organisation, die das ganze Jahr über kontinuierlich arbeitet und das Festival lediglich als Höhepunkt des eigenen Outputs begreift. Kooperation, nicht Fusion ist dabei die Devise. „Das Tragische in Berlin ist“, erklärt Broeckmann, „dass es eine extrem lebendige Szene gibt, aber keine gemeinsame Sichtbarkeit.“ Erste konzertierte Aktionen finden sich nun im Programm: Die Panel Discussion „Musik und Internet“ wird gemeinsam mit der Berliner Gesellschaft für Neue Musik veranstaltet, die Konferenz „NetSplit“ mit dem Künstlerhaus Bethanien, das Screening afrikanischer Videokunst mit der ifa-Galerie. Die mikro.lounge #30 im WMF ist ebenso Teil wie die erste „Rohrpost Reception“(Subscriber der gleichnamigen Internet-Mailing-List treffen sich im richtigen Leben. Physisch!).

Andreas Broeckmann kam 1987 nach Berlin. Fünf Jahre zuvor – „da kam gerade der erste PC auf den Markt“ – war er volljährig geworden, nun studierte er an der FU Kunstgeschichte, Soziologie und Publizistik. Etwa zur selben Zeit wurde in den Niederlanden das „Manifest für die instabilen Medien“ veröffentlicht, das, ausgehend vom Verhalten elektronischer Teilchen, Instabilität und Chaos auch für die dynanische Bewegung kreativer Prozesse forderte. Verfasst war es von einer kleinen Künstlergruppe namens V 2 (zur Enttäuschung aller Freunde von Verschwörungstheorien nicht nach der deutschen Wunderwaffe, sondern der Adresse des von ihr besetzten Hauses benannt, wo Die tödliche Doris und Test Department gern gesehene Gäste waren). 1994 bot die Stadt Rotterdam V 2 ein eigenes Haus an, die Gruppe zog um, institutionalisierte sich und zählt bis heute zu einem der avanciertesten interdisziplinären Zentren für Kunst und Medientechnologie in Europa. Von 1995 bis 2000 arbeitete Andreas Broeckmann, inzwischen promoviert, bei V 2 als Kurator.

Aus den Niederlanden mitgebracht hat er das Interesse an den gesellschaftlichen Implikationen der künstlerischen Nutzung von Technologien. Im Internet, sagt Broeckmann, liegt das Potenzial für einen aufklärerischen Umgang mit den Medien, „aber den muss man wollen. Das müssen die Leute begreifen: Eine demokratische Medienkultur braucht ihr Eingreifen.“

Die Rückkanäle müssen geöffnet werden, betont er, und man möchte „Aber richtig!“ hinzufügen, damit die Demokratisierung des Mediums nicht wieder so in die Hose geht wie damals beim Radio. Die ganzen schönen Einmischungsvisionen der Zwanzigerjahre, darunter Brechts euphorische Radiotheorie, haben schließlich zu nichts als Rückrufen bei Gewinnspielen und TCD-Abstimmungen geführt.

Oberflächen, die heute als interaktiv angepriesen werden, sind meist genauso enttäuschend: Die Aktivität des Benutzers erschöpft sich in Mausklicks, die im besten Fall den Weg, so gut wie nie aber das Ziel der Aktion bestimmen. In Wahrheit richtungweisend ist die Software – technisch, künstlerisch, sozial. „Software“, so Broeckmann, „ist die Architektur der neuen sozialen Formate.“ Und die darf nicht den anderen überlassen bleiben. Weshalb „social software“ und „artistic software“ zwei Schlüsselbegriffe der Panels (in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung) und des Wettbewerbs der transmediale.01 sind.

Rund 900 Arbeiten aus 50 Ländern wurden beim Festival dieses Jahr eingereicht; 600 im Bereich „Video“, 270 im Bereich „Interactive“ (Internet/CD-Rom/DVD-Rom basierte Arbeiten, Installationen und Performances) und 50 im Bereich „Künstlerische Software“. Letztere wird erstmals auf einem Medienkunstfestival ausgezeichnet – definiert als Software, deren Sinn nicht in Funktionalität aufgehoben ist, die nicht als Werkzeug dient, sondern Medium der künstlerischen Arbeit selbst ist. Im Grunde soll sie „das Delirium des Programms ermöglichen“, fasst Andreas Broeckmann zusammen. Was man im Grunde als Motto des ganzen Festivals begreifen darf.

4.–11. Februar im Podewil, Klosterstr. 68–70, Mitte. Programm und Infos unter www.transmediale.de