„Trittin ist zu kurz gesprungen“

Das neue Naturschutzgesetz bringt zwar „grandiose Fortschritte“ bei der Landwirtschaft, „erreichtaber nicht, was erforderlich ist“, meint der Präsident des Naturschutzbundes Nabu, Jochen Flasbarth

taz: Ist das Glas beim Naturschutzgesetz halb voll oder halb leer?

Jochen Flasbarth: Es ist definitiv nicht voll. Es ist nicht das erreicht worden, was erforderlich ist und was erreichbar gewesen wäre.

Welche Punkte begrüßen Sie?

Der Entwurf ist eindeutig eine Verbesserung gegenüber dem bestehenden Recht. Endlich haben wir eine bundesweite Verbandsklage für Umweltverbände. Positiv ist auch, dass es keinen pauschalen Ausgleichsanspruch für Landwirte bei Naturschutzmaßnahmen mehr gibt. Begrüßenswert ist auch im Grundsatz der Biotopverbund [der einen Schutz von Biotopen auf 10 Prozent der Fläche vorsieht; d. Red.], auch wenn die Regelungen qualitatitv und quantitativ nicht ausreichen. Es gibt in vielen anderen Bereichen außerdem positive Weiterentwicklungen.

Das klingt, als wären Sie ganz zufrieden.

Nein. Grundsätzlich kann man sagen: Der Minister ist zu kurz gesprungen. Zum Beispiel die Verbandsklage: Der Bereich, gegen den geklagt werden kann, wird stark eingeschränkt. Es kann etwa bei Planfeststellungsverfahren oder bei Ausnahmen in Naturschutzgebieten geklagt werden. Tabu ist der gesamte Bereich der Plangenehmigungen, mit denen inzwischen viele Verkehrswege oder Industrieanlagen errichtet werden. Im gesamten Baurecht, einem der Haupteingriffe in die Natur, kann nicht geklagt werden und auch nicht beim Bergrecht, Stichwort „Garzweiler“.

Ist das Gesetz denn ein Hebel für die viel beschworene Agrarwende?

Das könnte es werden. Zentral ist die Rolle der „guten fachlichen Praxis“, also der Standards in der Landwirtschaft, zu denen erstmals eine Menge Punkte im Gesetz stehen. Das ist ein grandioser Fortschritt. Bisher galt offiziell: Landwirtschaft dient der Natur.

Wie soll das Gesetz das ändern?

Bisher sind die Länder verpflichtet, jeden Eingriff in die Landwirtschaft auszugleichen, der über die „gute fachliche Praxis“ hinausgeht. Das bedeutet, dass, wenn irgendwo ein Naturschutzgebiet ausgewiesen wird, das Land an die Landwirte zahlen muss. Dann bilden Finanz- und Landwirtschaftsminister im Kabinett eine Allianz, gegen die der Umweltminister nicht ankommt. Jetzt sollen die Länder den Ausgleich bei Naturschutzmaßnahmen selbst regeln. In Zukunft werden also Umwelt- und Finanzminister an einem Strang ziehen, um überzogene Geldforderungen abzuwehren.

Das Gesetz will die Landwirtschaft also naturnäher machen.

Ja, aber die Regelungen sind sehr allgemein. Es heißt, die Landnutzung solle den Boden schonen, das hilft nicht viel. Es gibt ein Verbot, Grünland in Ackerflächen umzuwandeln, aber nur an feuchten Hanglagen. Warum nicht bei allen Grünflächen? Es gibt auch eine Vorschrift über flächengebundene Tierhaltung. Da gibt es einen Zusammenhang mit BSE, weil es darauf ankommt, ob ein Bauer seine Tiere vom eigenen Hof ernähren kann oder Futter kaufen muss. Gefordert wird aber nur, es müsse ein regional ausgewogenes Verhältnis von Tierproduktion und Fläche vorliegen.

Trittin hätte also Pflöcke einschlagen können?

Er hätte konkreter sein können. Das fehlt, weil der Gesetzentwurf noch dem Kräfteverhältnis im Kabinett vom Sommer entspricht. Die veränderten Bedingungen von Februar 2001 sind nicht berücksichtigt. Der Entwurf muss nachgebessert werden. Die Agrarwende, die vom Kanzler angemahnt wurde, muss sich doch konkret niederschlagen.

Ist das Gesetz ein Schritt, um die alte Gegnerschaft zwischen Landwirten und Umweltschützern aufzuheben?

Das kann es sein, wenn die Landwirtschaft die Logik ihrer bisherigen Lobbyarbeit verändert. Bisher hat der Bauernverband nur in Mengen gedacht. Wenn die Landwirte jetzt akzeptieren, dass es künftig Subventionen nur noch für besondere Naturschutzleistungen gibt, ist das der entscheidene Schlüssel zur Versöhnung von Naturschutz und Landwirtschaft.

Gut gemeint, aber zu kurz gesprungen. Ist das ein allgemeines Urteil über rot-grüne Naturschutzpolitik?

Gute Ansätze, aber zu kurz gegriffen. Politisch ist sehr viel mehr zu erreichen. Zwischen Landwirtschaft und Umwelt herrschte in den vergangenen Jahren eher ein feindliches Verhältnis. Jetzt hat Trittin in der Landwirtschaft eine Kollegin, von der ihn nicht viel trennt. Die Chancen, die Kluft zu überwinden, sind so gut wie nie zuvor.

INTERVIEW: BERNHARD PÖTTER