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: Jürgen Trittins Naturschutznovelle

Das Ende der Schonfrist für die Landwirtschaft

Fünfzehn Jahre hätten sie auf dieses Gesetz gewartet, seufzten gestern die Umweltverbände. Die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes war nicht nur deshalb überfällig. Denn schon lange bevor sich der Blick der Öffentlichkeit im Zuge der BSE-Krise auf den ganz legalen Kuhhandel und die alltäglichen Schweinereien richtete, war die Landwirtschaft zu einem Sorgenkind geworden. Neben Industrie, Verkehr und Energieerzeugung ist die Agrarwirtschaft heute einer der Hauptverursacher von Umwelt- und Gesundheitsschäden. Bisher wollte das nur niemand wissen.

Mit dem neuen Naturschutzgesetz ist nun die Schonfrist für die Landwirtschaft vorbei. Das Gesetz stellt den Kampf gegen das Artensterben (durch den Biotopverbund) und gegen den Flächenfraß (durch die Verbandsklage) auf eine Stufe mit den Anstrengungen, die Natur vor den Bauern zu retten. Dabei ist das Gesetz ein typisches Beispiel rot-grüner Umweltpolitik: ein großer Anspruch, eine Menge Streit und ein Kompromiss, mit dem vor allem die Wirtschaft leben kann. Nur durch Zufall hat die BSE-Krise den Bauernlobbyisten Funke gegen die grüne Verbraucheranwältin Künast ausgetauscht. Die fast historische Chance für die Grünen, die Ressorts Umwelt und Landwirtschaft zu leiten, lässt viele Umweltschützer auf bessere Tage hoffen.

Doch diese Chance zeigt zugleich das Dilemma rot-grüner Umweltpolitik. Denn die Lehre daraus ist: Wenn sich überhaupt etwas bewegen soll, müssen die Grünen das entsprechende Ministerium kapern und auf Linie bringen. Das aber ist bei weiteren Häusern wohl nicht zu erwarten, obwohl die Minister für Finanzen, Wirtschaft und Verkehr Entscheidungen fällen, die auf die Umwelt weit größere Auswirkungen haben als die Arbeit von Jürgen Trittin. Dass Umweltschutz eine Querschnittsaufgabe ist, die alle Ministerien verpflichtet, ist auch unter Rot-Grün nur eine Aussage für die Sonntagsrede zum Thema globale Verantwortung. Ein Bundeskanzler, der hektisch das eine oder andere Umweltthema zur Chefsache erklärt und ansonsten das Thema irgendwo nahe am „Gedöns“ ansiedelt, ist dafür ein deutliches Zeichen. Eine grüne Landwirtschaftsministerin macht eben noch lange keine Agrarwende. Und ein neues Naturschutzgesetz noch lange keinen effektiven Naturschutz.

BERNHARD PÖTTER